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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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woanders gelebt hat. Ich war auf der Uni.« Sie nimmt einen Zug aus der Zigarette und wirft einen Blick auf das Haus, auf den Mann. »Jedenfalls, bis ich geflogen bin …«
    »Von der Uni?«, fällt der Mann ihr ins Wort, die Zigarette halb zum Mund geführt.
    »Ja.«
    »Wie dramatisch. Was haben Sie denn verbrochen?«
    »Überhaupt nichts.« Weil sie den ungerechtfertigten Rauswurf noch nicht verwunden hat, fällt ihre Antwort eine Spur zu heftig aus. »Nach einer Prüfung habe ich den Saal durch einen Ausgang verlassen, der Männern vorbehalten ist. Ich kann erst zu Ende studieren, wenn ich mich förmlich dafür entschuldigt habe. Die« - wieder ein Kopfnicken in Richtung Haus - »wollten erst nicht, dass ich überhaupt studiere, und jetzt reden sie nicht mehr mit mir, solange ich nicht zu Kreuze krieche.«
    Der Mann betrachtet sie, als ob er sie sich einprägen will. Die Nähte seines Hemds sind mit blauer Seide gesteppt, an den Manschetten und am Kragen. »Und haben Sie die Absicht, sich förmlich zu entschuldigen?«
    Sie schnippt die Asche von ihrer Zigarette und schüttelt den Kopf. »Das sehe ich gar nicht ein. Ich wusste ja noch nicht mal, dass der Ausgang nur für Männer war. Es war kein Schild dran. Und als ich gefragt habe, wo denn der Ausgang nur für Frauen ist, hieß es, so einen gibt es nicht. Und dann soll ich mich in aller Form entschuldigen?«

    »Sie haben völlig recht. Man soll sich nur für das entschuldigen, was einem auch leidtut.« Sie ziehen ein paarmal an ihren Zigaretten, ohne sich anzusehen. »Und was wollen Sie in London machen?«, fragt er schließlich.
    »Arbeiten natürlich. Aber wer weiß, ob ich überhaupt eine Stelle finde.« Plötzlich klingt sie niedergeschlagen. »Ich habe gehört, man muss als Schreibkraft sechzig Wörter in der Minute tippen können. Momentan schaffe ich ungefähr drei.«
    Er lacht. »Und wo werden Sie wohnen?«
    »Sie stellen aber ganz schön viele Fragen.«
    »Die Macht der Gewohnheit.« Er zuckt lässig mit den Schultern. »Ich bin Journalist, unter anderem. Also. Wo wollen Sie unterkommen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das verraten sollte.«
    »Was ist denn schon dabei? Ich werde es auch keiner Menschenseele weitersagen. Bei mir sind Geheimnisse gut aufgehoben.«
    Sie wirft die Zigarettenkippe in die grünen, sich eben erst entfaltenden Blätter der Hecke. »Eine Freundin hat mir die Adresse einer Pension für unverheiratete Frauen in Kentish Town gegeben. Sie hat gesagt …«
    Ein Anflug von Belustigung huscht über seine Züge. »Eine Ledigenpension?«
    »Ja. Was ist denn daran so komisch?«
    »Nichts. Ganz und gar nichts. Das ist« - er macht eine Geste - »fantastisch. Kentish Town. Dann sind wir praktisch Nachbarn. Ich wohne in Haverstock Hill. Kommen Sie mich doch mal besuchen, wenn Sie Ausgang bekommen.«
    Alexandra zieht die Augenbrauen hoch und tut so, als ob sie darüber nachdenkt. Sie will es diesem Mann nicht allzu
leicht machen. Offensichtlich ist er es gewohnt, seinen Kopf durchzusetzen. Sie hat das Gefühl, er könnte ein bisschen Kontra vertragen. »Unter Umständen, ich weiß nicht. Vielleicht …«
    Leider betritt genau in diesem Augenblick Alexandras Mutter Dorothy die Szene. Ein Signal auf ihrem mütterlichen Radarschirm hat ihr verraten, dass sich ein männliches Raubtier an ihre älteste Tochter herangepirscht hat.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, ruft sie in einem Ton, der ihr freundliches Angebot Lügen straft.
    Alexandra fährt zu ihrer Mutter herum, die, ein Babyfläschchen wie eine Pistole in der Hand, über den Rasen marschiert kommt. Dorothy mustert den Mann von oben bis unten, angefangen bei den hellgrauen Schuhen bis hin zu dem kragenlosen Anzug, und verzieht säuerlich den Mund. Offenbar gefällt ihr nicht, was sie sieht.
    Der Mann schenkt Dorothy ein strahlendes Lächeln; seine sonnengebräunte Gesichtshaut lässt seine Zähne noch weißer erscheinen. »Vielen Dank, aber diese Lady«, er deutet auf Alexandra, »ist mir bereits behilflich.«
    »Meine Tochter hat heute Morgen sehr viel zu tun. Wolltest du nicht auf das Baby aufpassen, Sandra? Also, was können wir für Sie …«
    » Alexandra !«, schreit Alexandra. »Ich heiße Alexandra!« Ihr ist klar, dass sie sich wie ein trotziges Kind aufführt, aber dieser Mann darf einfach nicht denken, dass sie Sandra heißt.
    Doch es gibt zwei Dinge, auf die sich ihre Mutter besonders gut versteht: die Wutanfälle ihrer Tochter zu ignorieren und Leute auszuforschen. Kaum hat sie
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