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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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zurück, sagte einer von ihnen, in zwei Jahren.
    Demnach müssten sie inzwischen wieder zu Hause sein. Elina blickt durch den Garten auf das Studio, auf die Verkleidung aus Eschenholz, das Dach mit der Teerpappe. In ihrem Pass, in ihrer Steuererklärung, auf Formularen, die sie ausfüllen muss, steht, dass sie Künstlerin ist. Aber das gilt längst nicht mehr. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie zuletzt in ihrem Atelier war, sie weiß nicht mehr, was es heißt, Künstlerin zu sein, was man als Künstlerin tut, wie man seine Zeit herumbringt. Ihr Leben in dem kleinen Holzhaus, die vielen Stunden, die sie dort verbracht hat, kommen ihr so weit weg vor wie ihre Kindergartenzeit.
    Sie könnte - möglich wäre es - heute hingehen. Sie müsste nur den Schlüssel vom Haken neben dem Kühlschrank nehmen, das Kind in dem quietschenden Wagen durch das nasse Gras schieben, die Tür aufmachen und hineingehen. Sie könnte sich die Entwürfe ansehen, die sie an die Wand gepinnt hat, die Leinwände, die an den Schränken lehnen, um wieder da anzuknüpfen, wo auch immer sie aufgehört hat. Ihr ist klar, dass sie noch nicht wieder arbeiten darf. Aber sie könnte sich wenigstens in ihr Atelier setzen und lesen oder einfach nur zusehen, wie das Licht durch
das Dachfenster hereinfällt. Sie hat dort einen Sessel, neben dem Fenster, den sie selbst mit grünem Wollstoff neu bezogen hat. Das wäre ein guter Platz, um in ihrem Gedächtnis zu kramen.
    Während sie noch hin und her überlegt und unschlüssig auf ihren Lippen kaut, fällt ihr ein Geruch auf, den sie schon den ganzen Morgen in der Nase hat. Ein süßlicher Moschusgeruch. Wie ungelüftete Kleider. Wie nasses Papier. Wie Milch.
    Elina dreht sich um. Sie schnuppert. Nichts, nur ein leichter Hauch von Waschpulver. Sie schnuppert an ihrer Schlafanzugjacke, an ihrem Handgelenk, in ihrer Armbeuge, an ihrem schwieligen Handballen.
    Was da so riecht, ist sie. Kaum zu glauben. Ein neuer Geruch. Sie riecht nicht mehr wie früher, wie sie ihr Leben lang gerochen hat. Was da so riecht, ist sie.

    Ted zerrt seinen Schreibtischstuhl unter dem Tisch hervor und lässt sich darauf niedersacken. Seine Tasche wirft er hinter sich auf das Sofa. Er schaltet die Bildschirme ein und rollt, während sie aufflammen, mit dem Stuhl quer durch den Schneideraum zur Ablage für Posteingänge. Telefonnachrichten, ein paar Briefe, eine Bitte um ein Empfehlungsschreiben, die gekrakelte Anfrage eines Produzenten nach der Schneidekopie eines Films, die Ted vor Kurzem fertiggestellt hat. Als er zum Telefonhörer greifen will, hält er inne.
    Er lässt einen Füllhalter zwischen Daumen und Zeigefinger schnippen, schraubt ihn auf, schraubt ihn wieder zu. Er legt beide Hände auf die geschwungene Schreibtischkante. Wirft einen Blick auf die Monitore. Der eine zeigt eine Fehlermeldung an, irgendetwas über eine fehlende Datei.
Ted sieht auf seine Schuhe - ein Schnürsenkel hat sich gelockert -, auf das Telefon, an dem ein rotes Lämpchen blinkt, auf die unergründlich schwarzen Fronten der Lautsprecher, auf den Berg von Sachen, der sich auf dem Sofa türmt. Obstkörbe, in Zellophan gewickelte Blumensträuße, ein mit einem Seidenband zusammengeschnürtes Babydeckchen, einen monströsen, dümmlich grinsenden Stoffhund. Auf dem Schreibtisch, direkt neben seinem Ellenbogen, steht eine goldene Einkaufstüte, durch die oben eine blaue Schnur gefädelt ist, eine von der steifen, soliden Sorte, wie man sie nur in den besten Geschäften bekommt. Sie ist von der Empfangssekretärin. »Herzlichen Glückwunsch«, hat sie gesagt. »Ein Junge!« Dabei hat sie Ted so herzlich umarmt, dass sich der Reißverschluss ihrer Hose in seine Hüfte drückte und ihre Armreifen kalt in seinem Nacken klimperten.
    Er hat sich für die Tüte bedankt und all den Leuten zugenickt, sie sich um ihn versammelt hatten - der Frau vorne am Empfang, dem Kaffeeholer, einer ihm vage bekannten Schauspielerin, ein paar anderen Cuttern. »Wie nett von Ihnen. Wie ausgesprochen …« Und dann konnte er nicht mehr weiterreden, weil er sonst in Tränen ausgebrochen wäre. Seit er ein Kind war, hat er nicht mehr geweint, noch nicht einmal, als er sich mit siebzehn bei einem Motorrollerunfall in Griechenland das Bein gebrochen hat. Aber jetzt stiegen Tränen in ihm auf. Er war entsetzt. Was um alles in der Welt war bloß los mit ihm?
    Ted greift erneut zum Hörer, doch auch diesmal zieht er die Hand wieder weg. Er massiert sich die Stirn. Was macht er eigentlich
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