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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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steht vorsichtig auf. Das Kind liegt neben ihr auf dem Teppich und rudert wie ein Verkehrspolizist mit den Armen. Sie merkt, dass ihr auf der einen Kopfseite die Haare ein bisschen hochstehen, so ähnlich wie bei der Punkerf risur, mit der sie sich als Teenager so viel Mühe gegeben hat. Mit zusammengekniffenen Augen starrt sie einen Augenblick auf das Telefon, bevor sie rangeht. Sie ist so müde, dass der Boden unter ihr wegkippt, wenn sie sich zu schnell bewegt. Als sie sich mit der Hand auf der Armlehne des Sofas abstützt, wird ihr klar, dass sie das Gleiche erst kürzlich schon einmal getan hat, dass sie sich abstützen musste, bevor sie ans Telefon gehen konnte, und sie hat das deutliche Gefühl, dass sie irgendwann im Laufe des Tages mit ihrer Mutter gesprochen hat, doch sie kann sich nicht erinnern, worüber. Vielleicht ruft sie noch einmal zurück.

    »Hallo?«, sagt sie.
    »Hi.« Teds Stimme. Bei ihm ist es laut. Geschrei, Schritte, Papiergeraschel, ein Knall. Nicht die gedämpfte, ehrfürchtige Stille des Schneideraums. Er muss auf dem Set sein. »Wie geht es dir?« Seine Stimme dringt aus dem Lärm an ihr Ohr. »Alles in Ordnung? Wie läuft es denn so?«
    Elina hat keine Ahnung, wie es ihr geht, wie es läuft. Aber sie sagt: »Bestens.«
    »Was hast du heute gemacht?«
    »Hm.« Elinas Blick fällt auf den Wäschekorb, in dem nasse Sachen liegen. »Ich hab eine Maschine gewaschen. Und mit meiner Mutter telefoniert.«
    »Aha. Und sonst?«
    »Nichts.«
    »Ach.«
    Eine Pause. Sie überlegt, ob sie ihm von den Zeitsprüngen erzählen soll, von den Löchern. Aber wo soll sie anfangen? Bei der Geschichte mit dem Plattenspieler? Oder soll sie einfach sagen: »Ted, ich habe Momente, da verschwindet das Leben in einem Loch, und hinterher weiß ich nicht, was passiert ist. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, nicht einmal daran, dass ich ein Kind bekommen habe.«
    »Ich … äh …«, beginnt sie, aber Ted fällt ihr ins Wort.
    »Hast du etwas gegessen?«
    Sie überlegt. Hat sie? »Ich weiß nicht«, sagt sie.
    »Du weißt es nicht?« In Teds Stimme schwingt Entsetzen mit. Ganz in seiner Nähe schimpft jemand lautstark über den Catering-Wagen. Während Elina versucht, sich die Haare mit den Fingern flachzukämmen, fällt ihr Blick auf eine gelbe Broschüre, die neben dem Telefon liegt, mit der Überschrift Blutverlust bewältigen . Sie nimmt sie in die Hand und starrt auf die gedruckten Wörter.

    »Elina?« Sie fährt zusammen.
    »Ja?« Die Broschüre entgleitet ihr und schwebt unter einen Sessel. Sie kann sie später aufheben.
    »Du musst etwas essen. Das sagt auch die Hebamme. Hast du etwas gegessen? Kannst du dich nicht erinnern, ob du etwas gegessen hast?«
    »Doch«, sagt sie schnell und lacht leise. »Doch, doch, ich hab etwas gegessen. Ich weiß bloß nicht mehr, was ich mir zum Mittagessen machen wollte.«
    Aber auch das war nicht die richtige Antwort. »Zum Mittagessen?«, fragt Ted. »El, es ist halb vier.«
    Sie ist ehrlich überrascht. »Tatsächlich?«
    »Hast du geschlafen?«
    Sie blickt sich im Zimmer um, sieht zu dem Teppich, auf dem sie gelegen hat. Im dichten Flor zeichnet sich der Umriss eines Körpers ab, wie am Schauplatz eines Mordes. »Kann sein. Ja. Ich muss wohl geschlafen haben.«
    »Hast du deine Schmerzmittel genommen?«
    »Hm.« Wieder lässt sie den Blick schweifen. Was wäre wohl hier die richtige Antwort? »Ja«, sagt sie.
    »Hör zu, ich muss jetzt Schluss machen.« Er hält inne. »Vielleicht rufe ich lieber doch meine Mutter an.«
    »Nein«, widerspricht Elina prompt. »Ich komme zurecht. Mir geht es gut, wirklich.«
    »Ganz sicher?«
    »Ja.«
    »Du hast doch ihre Nummer, ja? Nur für den Notfall. Ich müsste so gegen sechs wieder zu Hause sein. Wir sind hier fast fertig.« Sein Ton ist jetzt beschwichtigend, behutsam. »Dann koche ich uns was Schönes. Aber vorher isst du noch eine Happen, okay?«
    »Okay.«

    »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    Sie sitzt in der Küche und sieht wieder zu ihrem Studio hinaus, als es an der Haustür läutet. Elina erstarrt, eine Hand an die Scheibe gepresst. Sie wartet. Teds Mutter? Ob er sie doch noch angerufen hat? Am besten rührt sie sich nicht vom Fleck. Dann denkt der Besucher, dass niemand zu Hause ist und geht wieder. Sie schaut wieder in den Garten. Die Türglocke schrillt ein zweites Mal, länger als zuvor. Elina ignoriert es. Es klingelt noch einmal, noch länger.
    Elina malt sich aus, wie Teds Mutter ihren Sohn anruft, um ihm zu
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