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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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hier? Ist er denn verrückt geworden? Er müsste zu Hause sein, bei Elina und dem Kind, statt an dem neuen Projekt herumzubasteln, das ihm herzlich egal ist. Gibt es
auf der Welt nicht schon genug Gangsterfilme über stümperhafte Bankräuber? Warum ist er überhaupt hergekommen?
    Kaum zu glauben, dass sein Schreibtisch wie immer aussieht. Die Reihe mit den DVDs auf dem Regal, die aufgefächerten Stifte in ihrem Halter, die nebeneinander stehenden Monitore, die Computermaus mit ihrer Strippe, die gepolsterte Handauflage (die gegen seine Sehnenscheidenentzündung auch nicht hilft) und an der Wand die Ansichtskarte von Elinas Gemälde.
    Eine rote Linie halbiert ein blaues Dreieck, das eine in der Ecke kauernde schwarze Form überragt. Er hat gesehen, wie das Bild auf der Leinwand entstanden ist. Eigentlich hätte er es nicht gedurft - sie mag es gar nicht, wenn jemand ein unfertiges Werk von ihr sieht -, aber er hat sie heimlich durchs Studiofenster beobachtet. So wusste er immer, was in ihrem Kopf vor sich ging. Er hat gesehen, wie es an der Wand der Galerie hing, wie es auf der Vernissage einen roten Punkt bekam, wie Elina vor Freude gestrahlt hat. Inzwischen hängt es im Haus eines Musikproduzenten, und Ted fragt sich oft, ob dieser Mann es auch genug liebt, ob er es oft genug betrachtet, ob es richtig gehängt ist, im richtigen Licht.
    Vor vier Tagen wäre sie fast gestorben.
    Der Gedanke trifft ihn wie ein Schlag. Ihm ist übel, als wäre er seekrank oder als sähe er von einem Hochhaus in die Tiefe. Er muss den Kopf in die Hände stützen und ein paarmal langsam ein- und ausatmen, von Tränen fast erstickt.
    Vor ihrer aller Augen wäre sie fast gestorben. Der Tod war mit im Raum, wie eine Wolke hing er oben unter der Decke, seltsam vertraut, als ob Ted ihn halb erwartet hätte, als ob er von Anfang an geahnt hätte, dass es vielleicht so
enden würde. Nicht hinsehen , hat die Schwester gesagt, nicht hinsehen . Und ihn am Ärmel gezogen. Aber wie konnte er? Wie konnte er sich wegdrehen, wo doch Elina dort lag, wo es doch seine Schuld war, dass sie überhaupt schwanger geworden ist, weil er es war, der damals in dem Hotel in Madrid geflüstert hat, »sollen wir es nicht dieses eine Mal ohne machen?« Dann hat die Schwester seinen Arm genommen. Und Kommen Sie schon gesagt, bestimmter jetzt. Sie dürfen da nicht hinsehen .
    Aber er musste. Er hat sich am Gitter einer OP-Liege festgehalten und die Schwester abgeschüttelt. Leute liefen hin und her, die sich aufgeregt etwas zuriefen, und mitten im Raum lag Elina, die obere Hälfte ein Bild des Friedens. Weiß und reglos, das Gesicht unbeweglich, die Augen halb geschlossen, die Hände auf der Brust gefaltet, eine mittelalterliche Heilige. Ihre untere Hälfte - so etwas hat Ted noch nie gesehen. Und im nächsten Moment sah er es auch nicht mehr. Er sah gar nichts mehr. Nur einen Horizont, der vielleicht das Meer war, eine auf und ab wogende bleigraue See, eine Wasserwüste, so endlos, dass ihm graute, vor der leeren Weite, in der sich der wolkige Himmel spiegelte. Wo ist sie , hörte er eine Stimme sagen. Wo ist sie ?
    Ted stößt sich mit solcher Wucht vom Schreibtisch ab, dass er mit dem Stuhl die Glasplatte des Couchtischs rammt. Er steht auf, geht zum Bullauge in der Tür und wieder zurück. Setzt sich. Steht wieder auf. Er läuft zum Fenster und lässt mit einem Ruck die Jalousie herunter. Er schiebt die Maus einmal hin, einmal her. Dann greift er zum Hörer und ruft am Empfang an, man solle den Gangsterfilmregisseur direkt zu ihm hochschicken.

    Elina hat seltsame Aussetzer, die sie Zeitsprünge nennt. Sie muss Ted davon erzählen. Wie die Nadel am Plattenspieler ihrer Eltern früher. Sie und ihr Bruder haben sich eine alte Beatles-LP der Eltern aufgelegt und abwechselnd mit den Füßen gestampft, um die Nadel von einem Song zum nächsten hüpfen zu lassen. Die Unberechenbarkeit war gerade der besondere Spaß! Während man noch bei Lucy und ihrem Diamantenhimmel war, legte urplötzlich John mit einer Show auf dem Trampolin los.
    Aber es muss wohl eine karmische Strafe für das Beschädigen von Schallplatten geben, denn genau das Gleiche scheint jetzt in Elinas Leben zu passieren. Vielleicht ist »Zeitsprünge« nicht das richtige Wort dafür. Vielleicht hat ihr Leben viertausend Löcher bekommen. Eben noch war es früher Morgen, und sie hat den neuen Geruch entdeckt, und jetzt liegt sie plötzlich im Wohnzimmer auf dem Fußboden, und das Telefon klingelt.
    Elina
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