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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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Kein Geld, arbeitslos und untauglich für den Gangsterberuf. Er sollte studieren!
    Ich muß mal sehen, ob man etwas für ihn tun kann... Übrigens, ein hübscher Junge.«
    »Mit solchen Typen habe ich kein Mitleid«, sagte Emilia, »er hat unseren Béla geraubt und ihm starke Schlafmittel gegeben, er hat auf Mario geschossen.«
    »Das kann man nicht unbedingt sagen, der Schuß ging von alleine los«, sagte ich, »das kann leicht passieren, ich weiß es.«
    »Jetzt haben wir aber viel Geld gespart«, sagte Cora, »wir sollten uns etwas Gutes gönnen. Emilia, was möchtest du?«
    »Ich möchte eine Sonnenbrille, es blendet heute so.«
    »Es sei gewährt deine Bitte, du bist ja im Bunde die Dritte«, sagte Cora, und wir gingen in eine Drogerie und kauften drei schräge Katzenbrillen.
    »Maja, was möchtest du?«
    »Ein ganz großes Eis.«
    Die Sonne schien, man konnte draußen sitzen. Eine große Pyramide aus Weihnachtssternen auf einem Eisengestell verwandelte den Sommersitz in einen Wintergarten. Die Italienerinnen trugen ihre Pelze zur Schau. Knirpse spielten mit Luftballons, ein besonders privilegierter Knabe hatte zu Weihnachten eine elektrische Vespa bekommen.
    Wir gingen Eis essen und fütterten den immer noch schlaftrunkenen Béla und den treuen Pippo, bis die beiden fast platzten. »Basta!« schrie mein Sohn abrupt und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß uns allen die Schokoladensauce um die Ohren spritzte.

Weißglut
     
     
    An manchen Tagen wache ich auf und bin guter Laune. Ich fühle mich leicht und frei, froh und dankbar und empfinde das Leben als wunderbares Geschenk. Leider gibt es andere Tage, an denen ich allen Ernstes glaube, Mutters depressive Grundhaltung geerbt zu haben. Der Gedanke an Selbstmord ist mir von klein auf vertraut und tröstlich. Andererseits bin ich sicher, daß ich Béla niemals im Stich lassen werde, solange er mich braucht.
    Cora kennt solche Stimmungsschwankungen nicht. Sie ist fast immer gut aufgelegt, aber sie bringt Verständnis für meine schwarzen Tage auf; ja, sie ist als einzige dazu in der Lage, mich aus meinem Loch herauszuholen.
    Alle kleinen Mädchen spielen >Vater, Mutter und Kind<. Es kommt mir vor, als spiele ich immer noch. Meine leibliche Familie existiert nicht mehr, dafür habe ich mir eine neue geschaffen: Cora ist der Vater, ich die Mutter, Béla das Kind. Unsere Eltern und Bélas Großeltern sind Emilia und Mario. Wie es ihr in dieser Rolle zukommt, sorgt Cora für das tägliche Brot. Gewiß, ich verdiene durch die Touristen auch ein wenig und kann meine Kleider selbst bezahlen; aber Versicherungen, Steuer, Heizung, Auto, Lebensmittel und Emilias Gehalt werden von Cora bestritten.
    Wenn ein Außenstehender Cora beschreiben sollte, dann käme eine sehr weibliche Frauengestalt heraus. Aber sie hat durchaus männliche Seiten: ihre Dominanz und kalte Sexualität. Sie kostet ihre Überlegenheit aus, und wenn ich meine depressiven Anfälle habe, rettet sie mich. Ja, gerade diese Retter-Attitüde macht sie zum Vater in unserem Spiel, aber ich bezweifle, ob sie dadurch je ausbügeln wird, was mein leiblicher Vater angerichtet hat.
    Aber auch Cora hat mir einiges angetan, vielleicht gehört das ebenfalls zum Spiel kleiner Mädchen.
    Nach Bélas Entführung und Befreiung hatten wir das Bedürfnis, sofort nach Florenz zu fahren, aber wir wollten warten, bis Mario aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Im Hotel wurden wir nach Strich und Faden verwöhnt; die Menschen im Lande der Mafia erwiesen sich als herzlich und mitfühlend und taten alles, um uns den erlebten Schrecken vergessen zu lassen. Wir saßen oft in der Sonne, fuhren mit dem Cadillac ins Ospedale und mit dem Kinderkarren ins Teatro Greco. Wir kratzten, wie viele andere Touristen, unsere Namen in die Agavenblätter, obgleich auf einer Tafel geschrieben stand: VIETATO SCRIVERE SULLE PIANTE . Mitten auf dem Corso spielte ein Russe Akkordeon, und eine ältere Frau sang dazu >Schwarze Augen< und >Kalinka<; wir gehörten zu ihren Bewunderern, und Béla durfte Geld in die Russenmütze werfen.
    Wenn wir im Hotelzimmer saßen, drehten wir das Fernsehen an; Emilia liebte die Sendung >Club della lirica< in RAI TRE , in der dickliche Männer Donizetti sangen.
    Das Autofahren in Taorminas engen Gassen war eine besondere Kunst, an der selbst Cora keinen Gefallen fand. Die Parkplätze wurden rücksichtslos zugestellt, und oft genug konnten wir unseren breiten Wagen nicht benutzen, weil er eingekeilt war.
    Nach vier
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