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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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meine dünnen hellbraunen Haare im Gegensatz zu den blonden jener Prinzessin standen, behauptete mein Vater, ich sähe ihr ähnlich. Ich liebte dieses Bild.
    Vor kurzem habe ich mir eine Reproduktion gekauft und neben meinen Spiegel gehängt. Genau in der Mitte des Bildes steht die liebliche Infantin Margarita; ihr ernsthaftes Kindergesicht wird von seidenweichem Haar umrahmt. Wie die erwachsenen Frauen trägt auch sie eine steife Krinoline, wodurch sie wahrscheinlich zur Streckhaltung gezwungen wird. Anscheinend weiß Margarita genau: alles dreht sich um sie. Links im Bild hat sich der Maler in Arbeitspose porträtiert; ein schöner, selbstbewußter Mann. Im Kontrast zu ihm steht rechts im Bild eine Zwergin mit verkniffenem Mopsgesicht. Neben ihr versucht ein Kind oder Zwergenkind mit seinem zierlichen Fuß den dösenden Hund aufzuscheuchen, aber erfolglos. Der Hund verkörpert die Ruhe und Würde auf diesem schönen Gemälde. Man sieht noch andere Personen, die von historischer Bedeutung sind, mich aber nicht interessieren. Die Farben im Hintergrund sind grau, grünlich, umbra; im Vordergrund herrscht ein leichtes Elfenbein vor, mit einigen köstlichen Tupfern Nelkenrot. Alles Licht scheint sich auf der Infantin zu sammeln.
    Mein Vater war ebenso ein Maler wie jener Mann im Hintergrund des Gemäldes, der vor langer Zeit die Infantin gemalt hatte; als er mich verließ, verschwanden auch alle seine eigenen Bilder. Das Blatt mit der spanischen Prinzessin fand ich unter einer Kommode, zerknittert und eingerissen. Ich faltete es zusammen und versteckte es in Dierckes Weltatlas, wo es mein Bruder entdeckte und zerriß.
    Mein Bruder mochte darunter gelitten haben, daß er nie ein Prinz gewesen war und seine Schwester über ihn gestellt wurde. Er nahm Rache, wo er nur konnte.
    Meistens mußte ich den Tisch decken. Einmal stolperte ich über einen umgetretenen Teppich, und drei Tassen, Untertassen und Teller gingen zu Bruch. »Wie ein Elefant im Porzellanladen«, bemerkte meine Mutter. »Die Infantin ist zur Elefantin geworden«, sagte Carlo. Sie lachte beifällig. »Hämisch, aber gut gesagt.«
    Ich war nun die Elefantin. Jahrelang gebrauchte mein Bruder diesen Namen. Meine Mutter sprach mich zwar im Notfall mit »Maja« an, aber ich hörte beim Hereinkommen gelegentlich, wie sie zu Carlo sagte: »Die Elefantin naht.«
    Aschenputtel wird Königin, das häßliche Entchen ein Schwan. Mein Traum war, berühmt zu werden und die Welt unter meinen Elefantenfüßen zu haben. Mit fünfzehn Jahren beschloß ich, Sängerin zu werden, eine zweite Callas. Von da an mußten Mutter und Carlo immer die gleiche Arie aus >Carmen< aushalten. Meine Stimme war laut, mein Gesang feurig. Ich war weder stimmlich begabt noch besonders musikalisch, aber mein Temperament konnte sich dabei austoben. »Sie singt wieder das Elefantabile«, pflegte meine Mutter zu sagen.
    Auch eine Mitschülerin hörte einmal, wie mein Bruder mich ansprach. Tags darauf wurde ich in der Klasse von einem ohrenbetäubenden Tarzanschrei begrüßt. Selbst in der Schule war ich zum Dickhäuter geworden.
    Sah ich einem Elefanten ähnlich? In Größe und Gewicht entsprach ich der menschlichen Norm, meine Füße waren zierlich, meine Nase glich durchaus keinem Rüssel, und meine Bewegungen waren weder unkoordiniert noch trampelig. Einzig meine Ohren paßten nicht ganz zum Standard; zwar waren sie von durchschnittlicher Größe, standen aber ab und ragten aus meinen glatten Strähnen heraus. Bis ich zu alt dafür war, pflegte mich meine Mutter nach dem Haarewaschen unbarmherzig zu kämmen, und dabei blieben die Zinken des Kammes am Ohr hängen und harkten es talwärts. Als ich längst erwachsen war, geschah das gleiche Mißgeschick mitunter einer Friseuse. In solchen Fällen dachte ich sofort mit einer Gänsehaut am ganzen Körper an meine Mutter, die auch noch bei anderen Aktivitäten ein körperliches Mißbehagen in mir hervorrief: ihr spitzer Finger zwischen meinen Schulterblättern, das laute Knacken ihrer verschränkten Hände und die grauenerregenden Quietschtöne, die sie beim Fensterputzen produzierte.
    Meine Mutter sorgte dafür, daß sich meine Elefantenhaftigkeit auch äußerlich manifestierte. Ich brauchte einen Wintermantel und wünschte mir einen feuerroten. Angeblich war kein Geld für einen neuen Mantel vorhanden. Mutter ließ mir aus einem geerbten Umhang aus Lamawolle ein graues Cape nähen, das mir in der Tat eine gewisse Unförmigkeit verlieh. Auch meine
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