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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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»Sofort kühlstellen!«
    Als ich aus der Küche kam, hatte sie bereits den Kaviar auf meiner seladongrünen Schale angerichtet. »Was hast du?« fragte sie, als sie meine Bestürzung sah, und dachte schon, die Polizei sei im Anmarsch.
    Ganz kurz erzählte ich ihr, was in Vaters Brief stand.
    »Wir werden ihn besuchen«, sagte sie, »morgen machen wir einen Plan.«
    Cornelia schien meinen arroganten Bruder nicht unsympathisch zu finden, sie lachte über seine Secondhandwitze, die ich alle kannte. Allmählich kamen mir Zweifel, ob nicht doch mehr dahintersteckte als ihr bewährter Trick, einen Mann verliebt zu machen, um ihn dann ein bißchen zu quälen. Mochte sie ihn am Ende?
    Alles hatte sich gegen mich verschworen. Als ich den roten Kaviar brachte, der sich sehr edel und fast wie ein Goldfisch auf dem grünlichen Porzellan ausnahm, fragte Detlef, ob das eine chinesische Schale sei.
    »Könnte sein«, antwortete ich.
    Alle waren auf einmal still und starrten die Schale an.
    »Woher ist die überhaupt?« fragte Carlo.
    »Vom Flohmarkt«, sagte Cora geistesgegenwärtig, und schon ging das allgemeine Geplauder wieder los.
    Detlef sah mich unverschämt an. »Mein Onkel ist Custos im Museum«, sagte er bedeutungsvoll.
    Leider war ich nicht so abgebrüht wie Cora, ich wurde rot. »Na und?« fragte ich ängstlich.
    »Du weißt Bescheid, ich weiß Bescheid«, sagte Detlef, »wir werden uns ein andermal über die Sung-Dynastie unterhalten.« Dann aß er fast allein den Kaviar auf; Cora trug die Schale hinaus, spülte sie aus und stellte sie in meinen Kleiderschrank. Sie hatte mit untrüglichem Instinkt die wichtigsten Worte gehört und dabei routiniert mit Carlo geflirtet. Ich bewunderte sie. Ohne Cora wäre ich wahrscheinlich in mein Zimmer gelaufen und hätte mich nicht im geringsten um den Verlauf dieser schrecklichen Party gekümmert.
    Schließlich holte Cora den gekühlten Champagner, ließ ihn von meinem Bruder öffnen und gab mir das erste Glas. Ich trank aus, mußte aufstoßen, alles lachte, und ich trank aus Verzweiflung gleich ein zweites Glas.
    Nach zehn Minuten wurde ich redselig und hätte gern gesungen, aber Carlo bremste mich. Als alle heim wollten, weil meine Mutter erwartet wurde, stand auch Carlo auf und brachte Cornelia nach Hause. Ich war verletzt, weil ich damit gerechnet hatte, daß Cora bei mir blieb und wir zu dritt aufräumen würden. Nun blieb alle Arbeit an mir hängen.
    Detlef sagte an der Tür: »Bis bald«, und es klang drohend. Dann war ich allein mit meinen Ängsten und dem schmutzigen Geschirr.
    Als meine Mutter kam, riß sie sofort die Fenster auf und verdächtigte mich des Rauchens, aber es fiel ihr nicht auf, daß Kaviar auf dem Teppich lag und der Raum nach Rasierwasser und schalem Wein roch. Ich gab vor, Kopfschmerzen zu haben, und verkroch mich. Obwohl ich darauf lauerte, hörte ich nicht, wann Carlo heimkam.
    Am Sonntag machte ich mich ohne Frühstück auf den Weg zu Cora. Meine Mutter war bereits ins Altersheim geradelt, mein Bruder schlief. In meiner Wut schüttete ich zwei Eßlöffel Salz in die Kakaotüte, die er meistens als erste Tat nach dem Aufstehen aus dem Kühlschrank zog.
     
    Cora war noch im Nachthemd (ein altes Erbstück aus Leinen mit Lochspitze) und trank schwarzen Kaffee im Bett. Sie empfing mich wie eine Fürstin beim Lever. Ihre Eltern, mit dem Hund an der Leine, begaben sich gerade auf einen Spaziergang und drückten mir die Klinke in die Hand.
    »Unsere Tochter pflegt noch der Ruhe«, sprach der Professor, »wie ein Riesenfaultier, nicht wahr.«
    Cora wußte, daß ich über Vater sprechen wollte. »Wir brauchen Geld«, sagte sie, »dann fahren wir hin und sehen nach dem Rechten.«
    Mir erschien das unmöglich. »Erstens kann ich nicht verreisen, ohne es meiner Mutter zu sagen! Und zweitens kann ich auch keine Bank überfallen.«
    Cora grinste. »Ach Maja, das läßt sich regeln. Wohin fahrt ihr in den Ferien?«
    Mir stiegen die Tränen in die Augen. Seit Jahren waren wir nicht mehr verreist, weil kein Geld da war. Als wir klein waren, fuhren Carlo und ich bisweilen zu Mutters Bruder nach Bonn. Onkel Paul hatte das Schreibwarenlädchen unseres Großvaters übernommen, umgebaut und einen florierenden Computerladen daraus gemacht. Ohne seine regelmäßigen Überweisungen hätten wir im übrigen von Mutters Gehalt nicht leben können. Dorthin wollte ich nicht mehr, es war eine einzige Demütigung. Die Kusine war stocklangweilig. Die Tante pflegte mir zwar jedesmal
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