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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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etwas Praktisches zum Anziehen zu kaufen, aber darauf konnte ich pfeifen.
    Cora hörte sich alles an. »Ist vorzüglich«, sagte sie, »ich muß zwar zwei Wochen gemeinsam mit meinen Eltern in die Toskana, aber erst am Ende der Ferien, vorher ist noch eine Menge Zeit. Praktischerweise habe ich Verwandtschaft in Hamburg. Deine Mutter wird wohl erlauben, daß ich dich einlade. Im übrigen sind Onkel und Tante beide berufstätig, und es ist ihnen völlig egal, ob wir den Tag im Museum oder im Bett verbringen.«
    »Lübeck ist nicht weit, ich kann dann sofort weiterfahren.«
    »Nee«, sagte Cornelia, »das wäre unvorsichtig. Du wohnst mit mir in Hamburg, und wir begeben uns gemeinsam zu deinem Königspapa.«
    Cora war neugierig auf meinen geheimnisvollen Vater. Ich wäre ihm lieber erst allein begegnet, aber zunächst schwieg ich.
    »Das zweite Problem ist die Kohle«, sagte Cora, »und da habe ich einen Plan. Die Reise bezahlen meine Eltern, sicher auch für dich. Aber wir brauchen einen Zuschuß für den hungernden Künstler.« Mir gefiel ihre Ironie nicht, aber ich sagte nichts und wartete auf Vorschläge. »Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, daß ein Betrüger täglich die Todesanzeigen studiert hat«, erzählte Cornelia, »etwa zwei Wochen nach dem Tod eines Opas schellte er an der Haustür der Witwe und behauptete, der Verstorbene hätte eine saftige Rechnung nicht bezahlt. Wenn dann die Oma wissen wollte, worum es ging, zog er ein Auftragsformular heraus und sagte, leise und diskret, es handele sich um Pornos, die der Tote bestellt hätte. Alle Omas wurden bleich und zahlten sofort, um nie wieder an diesen Skandal erinnert zu werden.«
    »Wie gemein«, sagte ich lachend, »aber es kann doch nicht dein Ernst sein, auf solche Weise Geld einzutreiben! Und außerdem können wir uns vielleicht auf etwas älter schminken, aber eine Pornohausiererin nimmt uns keiner ab.«
    Cora bekam einen Lachanfall. »Das wollte ich doch gar nicht, Elefantenbaby. Aber durch diese Geschichte kam ich auf eine gute Idee, paß mal auf: Mein Vater ist unheimlich gebildet, aber zerstreut, wie es sich für seinen Stand gehört. Neulich hat er vergessen, zur Beerdigung eines Kollegen zu gehen oder wenigstens eine Beileidskarte zu schicken. Mutter erinnerte ihn an diesen Termin, als es schon zu spät war und sein schwarzer Anzug in der Reinigung hing. Na, kurz und gut, man hatte darum gebeten, keine Kränze zu schicken, sondern eine Spende. Und zwar ausgerechnet für den Reit- und Fahrverein, als ob die nicht reich genug wären! Vater griff in die Brieftasche, schrieb schnell ein paar unaufrichtige Worte und schickte mich ins Trauerhaus. Weil Geld im Umschlag war, sollte ich ihn persönlich abgeben.«
    »Hast du etwa das Geld behalten?«
    »Wo denkst du hin. Ein altes Tantchen machte mir auf und führte mich ins Herrenzimmer, bot mir sogar Tee an. Alle anderen Angehörigen waren auf dem Friedhof. Als die Alte in die Küche ging, war ich allein mit einem Schreibtisch voller Spendenumschläge, die ich aber als wohlerzogene Tochter nicht geöffnet habe.«
    Ich war fasziniert. »Kann man das machen, einem Toten Geld klauen?«
    »Es gehört weder dem Toten, noch hat er etwas davon«, sagte Cornelia, »wir könnten zu wildfremden Beerdigungen gehen, natürlich nur bei reichen Leuten. Wenn in der Zeitung steht, daß für Amnesty oder SOS-Kinderdorf gespendet wird, dann lassen wir die Finger davon. Aber Golf- und Yachtklub oder so - da hätte ich keine Bedenken. Meinst du nicht, daß dein Vater es nötiger braucht?«
    Ich nickte. Aber ich hatte keinen Spaß an der Idee. Einen Lippenstift zu stehlen, das war ein Sport gewesen. Bei der Porzellanschale hatte ich erst hinterher begriffen, was ich angestellt hatte. Fast bereute ich die Tat ein bißchen. Andererseits liebte ich dieses Stück, Tausende von Museumsbesuchern würden es ebensowenig beachten wie meine Mutter. Im Grunde hatte ich mich als Kennerin erwiesen und vielleicht ein moralisches Recht an diesem Gegenstand erworben. Aber Geld stehlen empfand ich damals als kriminell, und auch der Gedanke, als Robin Hood zu handeln, konnte es mir nicht leichter machen.
    Ganz plötzlich sprang Cora aus dem Bett. »Es hat heute nacht geregnet, ich muß auf Schneckenjagd gehen.«
    Verwundert folgte ich ihr in den Garten. Barfüßig und im Nachthemd stakste sie zwischen feuchten Blumenrabatten herum und zerschnitt fette Nacktschnecken mit einer Rosenschere. Hingerissen beobachtete sie, wie sich der
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