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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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quellende Schleim ins Gras ergoß. Mir wurde übel.
     
    Als ich schließlich zu Hause war, meinte Carlo anzüglich, Detlef sei dagewesen und habe nach mir gefragt. Dabei musterte er mich mit Interesse.
    »Was wollte er?« fragte ich unwirsch, obgleich ich Schreckliches ahnte: Erpressung.
    »Er scheint Feuer gefangen zu haben«, sagte Carlo, »übrigens ist Cora eine tolle Frau. Wenn du mir bei der Werbung unterstützend beistehst, kann ich dir als Dank den klugen Detlef in die Arme treiben.«
    »Ich will deinen Detlef nicht«, sagte ich und knallte die Tür zu.
    Bald waren Ferien; ich sehnte mich danach, meine scheußliche Familie eine Zeitlang nicht zu sehen und für Detlef unerreichbar zu sein. Warum war das Leben so kompliziert!

Rot wie Blut
     
     
    Neulich stieg ein Vater mit seiner kleinen Tochter in unseren Bus. An und für sich ist es Unsinn, Kinder in diesem Alter auf eine Besichtigungstour mitzunehmen, und ich sehe es in der Regel nicht gern. Die meisten Kinder stören; sie langweilen sich, reden laut in meinen Vortrag hinein, bleiben nicht auf ihrem Platz, schmieren Schokolade auf die Polster und lenken selbst ernsthafte Touristen vom Zuhören und Spenden ab. Zum Glück wissen das die meisten Eltern und fahren mit kleineren Kindern lieber ans Meer. Aber dieser Vater hatte eine fertige Persönlichkeit neben sich, die aufmerksam und trotzdem nicht altklug wirkte, kein Zuckerpüppchen, sondern eine Prinzessin von königlichem Geblüt. Mir tat es weh. Vater und Tochter waren ein ebenso erlesenes Paar, wie ich es als Infantin von Spanien mit meinem königlichen Papa gewesen war. Sicher hatte ich meinen Vater, der so früh nicht mehr greifbar war, nach Herzenslust idealisiert. Vielleicht aber war auch dieses reizende Paar ein Trugbild, und zu Hause wartete eine verbitterte Mutter.
     
    Trotz dieser Assoziation zur eigenen Vergangenheit erinnere ich mich nicht ungern an unsere Geldbeschaffungsaktion für meinen Vater, die ja noch vor seiner Entlarvung stattfand. Obwohl Cornelia und ich täglich die Todesanzeigen studierten, ergab sich vorerst keine Möglichkeit, weil in den meisten Anzeigen nichts von einer Spende stand; in den wenigen, bei denen man ein Konto angab, war vom evangelischen Kirchenchor oder vom Taubenzüchterverein die Rede; das waren, nach Adresse und Text zu urteilen, wahrscheinlich Hinterbliebene, die alle Trauergäste persönlich kannten. Wir hätten unnötig Aufsehen erregt, überdies war nur mit kleinen Beträgen zu rechnen. Krebshilfe und Schulförderverein zu bestehlen, lehnte ich ab. Schließlich stießen wir auf die Freimaurer; wir wußten nicht genau, was es mit ihnen auf sich hatte, aber sie waren ein reiner Männerverein, und Cora überzeugte mich, daß das keine philanthropische Sache sei und man zugreifen sollte.
    Die Villa stand am Neckar, feinste Lage, mit Geld war zu rechnen. Oder ob die Trauergäste eine Banküberweisung vorzogen?
    Ich unterschrieb eine Beileidskarte mit Dr. und einem unleserlichen Schnörkel. Auf Befragen wollte sich Cora als Tochter eines Frankfurter Professors ausgeben. Wir zogen uns zwar nicht schwarz, aber gedeckt und unauffällig an, keine Schminke, kindlich-ordentliches Aussehen. Ich flocht mir dünne Zöpfe und setzte Carlos Brille auf. Cora hatte eine dunkle Perücke, die ihre Mutter vor Jahren zu Fastnacht getragen hatte, zu einer braven Ponyfrisur zurechtgeschnitten und sah in Cordhosen und blauem Samtpullover wie eine Zwölfjährige aus. »Camouflage«, sagte Cora, »das heißt Tarnung und ist in der Tierwelt sehr verbreitet.«
    Im Trauerhaus (eine öffentliche Feier wurde gleichzeitig in der Innenstadt veranstaltet) machte uns eine ältliche Frau auf. Cornelia sagte schülerhaft und künstlich lispelnd ihren Spruch auf. Die Freimaurertante hörte schlecht, nickte aber und wollte mir den Umschlag aus der Hand nehmen. Von Hineinbitten keine Rede. Ich wollte mich geschlagen geben, aber Cora brüllte der alten Dame ins Ohr (wobei sie das Lispeln vergaß), daß wir eine lange Bahnfahrt hinter uns und Durst hätten. Wir wurden in die Küche geführt. Zwar lagerten hier keine Umschläge mit Geld, dafür Platten mit appetitlichen Schnittchen. Während ich Limonade trank, rief Cora »Toilette« und verließ die Küche. Die Frau fragte nach meinen Eltern. Ich gab an, ein Waisenkind zu sein, und trank ein Glas nach dem anderen. Schließlich kam meine Freundin wieder herein, blinzelte mir zu, trank auch einen Schluck und drückte der Frau unter
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