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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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Dankesbezeugungen die Hand. Im Eiltempo verließen wir das Haus.
    Ich fragte: »Hast du...«, und sie nickte.
    Wir gingen in ein Cafe in der Fußgängerzone, schossen ins Klo, riegelten die Tür zu und rissen die Umschläge auf. Cornelia hatte sämtliche Kondolenzschreiben eingesteckt. Eigentlich hatte ich erwartet, daß sie nur eines oder zwei mitnehmen und man das später nicht bemerken würde. Im ersten lag ein Scheck.
    »Scheiße«, sagte ich. Aber alles in allem hatten wir, wie sich dann herausstellte, einen guten Fischzug gemacht. In der ersten Begeisterung bestellten wir unsere Lieblingstorten, dann beschlossen wir flüsternd, den Rest nicht anzurühren, sondern meinem Vater zu übergeben. Aber er würde fragen, woher dieses Geld kam.
    »Mir fällt schon etwas ein«, sagte Cora, und ich glaubte ihr sofort.
    Zweimal war es mir gelungen, Detlef zu entkommen. Er war kurzsichtig und erkannte mich nicht so schnell wie ich ihn. Beim ersten Mal stand er, an die Mauer gelehnt, vor unserem Haus, als ich am späten Nachmittag von meiner Spanisch-Arbeitsgemeinschaft (die ich besuchte, weil sie von Herrn Becker geleitet wurde) zurückkam. Ich schlug einen Haken wie ein Hase und versteckte mich kauernd in einem fremden Vorgarten. Als er nach langer Zeit abzog, kroch ich, steif geworden, endlich heraus. Beim zweiten Mal saß er in unserer Küche und tat meiner Mutter gegenüber so, als ob er auf Carlo warte. Diesmal fiel mir blitzschnell eine Notlüge ein. »Carlo läßt dir sagen, daß du nicht auf ihn warten sollst, er ist ins Kino gegangen.« Detlef warf mir einen vernichtenden Blick zu, wagte aber in Gegenwart meiner Mutter keine Widerrede und ging. Kurz darauf kam Carlo heim, und nun war meine Mutter verwundert. Aber sie war zu müde zum Nachhaken, setzte seufzend Teewasser auf und legte ihre geschwollenen Beine hoch.
    Am nächsten Tag brachte Carlo einen Brief von Detlef. »Sieh da«, sagte er, »die Elefantin trampelt auf Männerherzen herum!« Er ahnte nicht, daß er kein Postillon d'amour war, sondern einen Erpresserbrief übergab.
     
    Wenn Du morgen um sechs nicht am Hinterausgang der Bank stehst, werde ich Dich anzeigen. D.
     
    Cora riet mir hinzugehen. »Wir müssen erst einmal hören, was er überhaupt will und warum er dich bis jetzt nicht angezeigt hat«, sagte sie. Im übrigen erbot sie sich mitzukommen, aber ich lehnte ab; sie sollte mich nicht für feige halten.
    Carlo kam gewöhnlich um fünf heim; ich mußte nicht befürchten, ihn ebenfalls anzutreffen, als ich am nächsten Tag pünktlich auf meinen Erpresser wartete.
    Detlef war zunächst freundlich. Er lud mich zu einem Cinzano ins Cafe ein. Irgendwann kam er zur Sache. Alles gehe in Ordnung, die Porzellanschale könne noch meinen Enkeln als Nippes dienen, wenn ich ihm ein wenig entgegenkäme. Ich stellte mich dumm. Er sollte gezwungen sein, die Dinge beim Namen zu nennen. Auf diese Weise schlichen wir eine Weile wie die Katzen um den heißen Brei herum. Schließlich kam seine Aufforderung, mit ihm zu schlafen. Ich hatte es erwartet. Trotzdem war ich sekundenlang sprachlos vor Empörung. Aber in aller Öffentlichkeit konnte ich ihn nicht anbrüllen. Ich stand auf. »Ich werde über deine Worte nachdenken«, sagte ich und sehnte mich nach Cora. Sie wüßte Rat.
    Zehn Minuten später war ich bei ihr. Sie lobte mich. »Du hast alles prima gemacht. Wir müssen im Grunde nur die fünf Tage überstehen, bis wir abreisen. Dann sind wir ihn erst mal los.«
    »Fünf Tage sind aber viel! Morgen wird er wieder fragen!«
    »Schlimmstenfalls überläßt du ihn mir, Maja. Ich werde mit so einem Sandkasten-Mafioso dreimal fertig.«
    »Dann will er am Ende mit dir schlafen. Wahrscheinlich sogar lieber als mit mir!«
    Cornelia umarmte mich. »Mach dir keine Sorgen, ich krieg' ihn so klein«, und sie zeigte mit Daumen und Zeigefinger ein winziges Männchen. Aber ich hatte solche Angst, daß sie mir versprach, mich in diesen fünf Tagen nie allein zu lassen.
    Meine Mutter hatte nichts dagegen, daß ich bei Cora übernachtete, meine Freundschaft mit einer Professorentochter schmeichelte ihr. Ich hatte ihr vorgelogen, daß Coras Eltern verreist seien und meine Freundin Angst habe, allein im Haus zu wohnen. Überraschenderweise bot Mutter an, Cora könne auch bei uns schlafen, sah aber ein, daß im Professorenhaus mehr Platz und Komfort war.
    So hatten wir erreicht, daß wir unserem Feind Detlef nur gemeinsam begegneten, und in Coras Gegenwart fielen mir schnippische und
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