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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben
Autoren: Ingrid Noll
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herumzuhängen. Wir sprachen nicht und versuchten, ein Knarren der alten Treppenstufen zu vermeiden, was nicht gelang. Emilia hatte eine Taschenlampe - die schon bei der Expedition zu Dons vorletzter Ruhestätte gute Dienste getan hatte - bei sich. Als wir vor der Tür standen, schnüffelte Pippo wieder auffällig an der unteren Ritze und blies seinen Atem schnaubend in den unbekannten Raum, um durch die zurückströmende Luft Anhaltspunkte für seine Bewohner zu bekommen. Er wedelte ein wenig, für Emilia ein sicherer Beweis, daß sich Pippos bester Freund und Spielkamerad hinter dieser Tür befand.
    »Sicher ist das Schloß verriegelt«, flüsterte Cora, »wir haben weder einen Dietrich noch sonst ein Werkzeug dabei.«
    Mario schüttelte den Kopf und zeigte ihr einen kleinen Schraubenzieher.
    Emilia legte die Hand auf die Klinke, die sofort nachgab. Es war nicht abgeschlossen. »Tina?« fragte es von innen. Mit hoher Mädchenstimme sagte Emilia geistesgegenwärtig: »Si!« und machte die Tür auf und das Licht an.
    In einem schmalen Bett lagen Béla und ein fremder Mann, der hochschnellte und nach einem Revolver griff. Alles ging unglaublich schnell: Ich stürzte mich auf mein Kind, Mario auf den Mann, das Bett krachte unter uns vieren zusammen, ein Schuß ging los. Béla schlief, ich hielt ihn fest im Arm und sprang hoch, fiel aber gleich über Pippo, der sich auch einmischen wollte. Einen Augenblick lang war ich wie betäubt.
    Emilia hielt die Waffe in der Hand, Mario mußte sie dem Mann entwunden haben. Er lag immer noch auf Dante und drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht auf das eingebrochene Bett.
    Cora rief den Nachtportier an. »Schließen Sie sofort die Haustür und lassen Sie nur die Polizei herein. Rufen Sie bei der Wache an, man soll einen Fiat auf dem Parkplatz umstellen und einen Mann mit Fernglas verhaften. Außerdem brauchen wir hier in der Mansarde ein paar Polizisten und einen Arzt!«
    Ich kroch aus der Gefahrenzone und sah dabei, daß Mario blutete. Cora half ihm, den sich aufbäumenden Dante zu bändigen, indem sie dem Erpresser ein Kissen aufs Gesicht drückte.
    »Wir machen dich kalt, wenn du nicht Ruhe gibst«, sagte sie.
    Emilia stand regungslos mit der Waffe vor unserem Opfer.
    Cora meinte auf deutsch: »Von mir aus wäre es ohne Polizei abgegangen, ich habe eine Schwäche für Banditen; aber Kinder klauen geht zu weit.«
    Ich stand mit dem patschnassen Béla und Pippo auf dem Flur, da ich auf keinen Fall in diesem Zimmer bleiben, aber andererseits meine Helfer nicht verlassen wollte. Die Polizisten kamen nicht übertrieben schnell und ließen die Handschellen klicken. Ein endloses Palaver setzte ein.
     
    Mario war verletzt. Später erfuhren wir, daß ihm seine Tafel das Leben gerettet hatte, man konnte auch sagen, auf indirekte Weise Emilia. Sie hatte ihm ein praktisches Geschenk zu Weihnachten gemacht: eine neue Tafel, auf deren Vorderseite mit Ölfarbe der immer gleichbleibende Satz von der Sprachbehinderung stand. Für diese Tafel hatte sie ihm in seine beiden Jacken große Taschen eingenäht.
    Dantes Kugel war an der Tafel abgeprallt und hatte ihren Lauf verändert; sie blieb in Marios Arm stecken. Der Arzt machte einen Verband und meinte, die Verletzung sei zwar nicht gefährlich, müsse aber in der Klinik behandelt werden. Der arme Mario wurde im Krankenwagen abtransportiert. Seine Augen leuchteten, er war der Held dieser Nacht. Emilia küßte ihn und Béla abwechselnd, lobte ihren klugen Hund und fuhr mit ins Krankenhaus.
    Das halbe Hotelpersonal war auf den Beinen, in Schlafanzügen und Morgenmänteln stand man herum und redete. Dante, der natürlich einen anderen Namen hatte, war mit dem Zimmermädchen befreundet. Tina war aber ebenso unschuldig wie der Vetter Ruggero aus Florenz; beide hatten unwissentlich als Informanten gedient. Tina hatte an diesem Tag frei und war zu ihren Eltern gefahren. Dante, der von Cora Diledante genannt wurde, hatte seine Entführung denkbar schlecht vorbereitet und erst für den nächsten Tag ein passendes Quartier für sich und Béla in Aussicht. Aber das erfuhren wir erst nach und nach.
    In dieser Nacht haben wir noch ein paar Stunden geschlafen, Béla rechts und Pippo links von mir. Emilia kam gegen Morgen mit einem Taxi aus dem Krankenhaus; Mario sei erfolgreich operiert worden und brauche Ruhe.
    Als wir um zwölf beim Frühstück saßen, das unsere mitfühlende Kellnerin aufs Zimmer brachte, meinte Cora: »Er tut mir leid, der arme Diledante.
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