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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon
Autoren: Suzanne Frank
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Holz und schliff das eine Ende an den Palmwedeln, bis es scharf genug zum Stechen und Schneiden war. Ihren Durst stillte sie, indem sie von dem Wasser rund um die Palme trank.
    Überschwemmungswasser war nicht salzig, wenigstens nicht besonders.
    In der untergehenden Sonne begann sie nach Vögeln Ausschau zu halten. Allerdings gab es keinen anderen Landeplatz als die Gruppe um ihren Baumwipfel. Widerwillig, den Zweig zwischen die Zähne geklemmt, ließ sie sich ins Wasser gleiten und wartete auf eine fette Taube. Als schließlich eine angeflogen kam und sich flatternd zur Rast niederließ, stürzte sie sich darauf. Bevor der Vogel wieder auffliegen konnte, hatte sie seinen Hals mit dem Zweig durchbohrt. Feder um Feder rupfte sie das Tier, dann bohrte sie den Zweig erneut ins Fleisch, um es ausbluten zu lassen. Dies war das einzige Tabu, das nicht gebrochen werden konnte: Niemals etwas zu essen, das noch blutete, und niemals Blut zu vergießen, es sei denn, um zu essen.
    Sie wusste nicht mehr, wann sie diese Worte gehört hatte, aber sie wusste, dass sie wahr waren. Es war das einzige Verbot, das der Gott über allen Göttern erlassen hatte, nachdem die Große Flut vorüber gewesen war. Erst als sie den Vogel mit Palmwedeln abgewischt und mit Wasser durchspült hatte, um ihn so sauber wie möglich zu waschen, schlug sie die Zähne ins Fleisch.
    Gekocht hätte er eindeutig besser geschmeckt, doch sie hatte weder Dung noch Zunder. Außerdem war sie hungrig. Die Karkasse warf sie auf den Baumwipfel nebenan und schaute zu, wie die größeren Vögel, die Wüstenvögel, sich darüber hermachten. Sie verfolgte das Geschehen durch die Finger hindurch, damit die Vögel sie nicht blenden und dann ebenfalls auffressen konnten.
    Als der Himmel von den Göttern übermalt wurde und der Gott Shamash seine Reise beendete, sah sie die Tierkadaver vorbeitreiben. Wie Flöße glitten Wildesel und Ochsen, die Beine der Hitze entgegengereckt, die Leiber aufgeschwollen von der glühenden Sonne, in der Strömung des Wassers vorbei. Des lavendel und rosa, gold und orange getönten Wassers.
    Zwielicht.
    Es war die Zusicherung durch die Götter; ein Tag endete, der nächste begann. Wenn sie das Zwielicht sah, würde der Tag nach einer Zeit der Dunkelheit wiederkehren, das wusste das Mädchen. Der Sonnengott Shamash, die Götter des Wassers, des Windes, der Erde, würden sich wieder erheben und mit ihren Peitschen über ihre Sklaven gebieten, die Shinars Ebenen bestellten. Das Zwielicht war ein Versprechen, ein Ehrenwort. Es spendete Trost, selbst wenn niemand außer ihr am Leben geblieben war. Sie hatte das Zwielicht gesehen, folglich würde die Sonne morgen früh wieder aufgehen. Sie breitete ihre Haare über ihre Schultern, legte den Kopf in die Armbeuge und schlief.
    Nach drei Tagen war der Wasserspiegel bis zum Stamm gesunken. Immer mehr Trümmer zeigten sich an der Wasseroberfläche. Aufgeschwollene Leiber und Gesichter, an die sie sich nicht erinnern konnte. Überreste von Hütten. Und zu guter Letzt die Verkleidung eines Guf -Bootes. Ohne Außenrahmen nutzte ihr der Boden, den sie gefunden hatte, nichts, trotzdem holte sie sich die Verkleidung, wrang sie aus und zog sie zum Trocknen über die frisch wieder aufgetauchten Palmen.
    Am fünften Tag wagte sie sich auf der Suche nach brauchbaren Dingen in die Fluten. Die Umrisse von Inseln und Uferdämmen begannen sich im Wasser abzuzeichnen. Bis zum Zwielicht des sechsten Tages hatte sie eine Decke, in die sie sich nachts wickeln konnte, ein Knochenmesser, mit dem sie Vögel und Fische töten konnte, sowie ein einzelnes Ruder zusammengetragen.
    Innerhalb von sieben Tagen hatte sich die Marsch in eine Brutstätte für Moskitos verwandelt, das Wasser war von den verrottenden Tierleichen vergiftet, und an den Baumwurzeln kristallisierte sich Salz aus. Auch war das Wasser inzwischen so flach, dass sie darin waten konnte, dass sie die Krokodile erspähte, ehe sie von ihnen entdeckt wurde, und dass sie den Boden unter ihren Füßen erkennen konnte.
    Nichts war von Shinar geblieben; es war ausgelöscht. Bislang hatte sie kein einziges überlebendes Haustier und keine Menschenseele entdeckt. Stattdessen hatte sie Hunderte von Leichen gesehen. Ein Festschmaus für die Krokodile. Falls sie das einzige überlebende Menschenwesen war, würde sie nach Süden wandern, bis sie ans Südmeer gelangte. Falls nicht, würde sie am Südmeer vielleicht auf andere Menschen stoßen. Die Hindu-Händler behaupteten,
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