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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon
Autoren: Suzanne Frank
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in ihren Haltern, um jenen heimzuleuchten, die zu sehr vom Trunk benebelt waren, um noch klar sehen zu können, doch inzwischen war es so spät, dass selbst die Wachen leise vor sich hin schnarchten.
    Ihre Karte war ausgesprochen schlicht; genau wie Shinar, die Ebene zwischen den beiden Flüssen, war sie in vier Quadranten aufgeteilt. Die Ereignisse am Firmament verrieten, welcher Abschnitt der Ebene etwas zu befürchten hatte. Sie legte kurz den Kopf in den Nacken, bevor sie sich wieder über ihre Karte beugte und zu zählen begann: Sumer im Süden, Elam im Osten; Amurru im Norden und Akkad im Westen.
    Gespannt verfolgte sie, wie der Mondschatten vorüberzog. Falls er von Westen nach Osten wanderte, verhieß das nichts
    Gutes für Sumer.
    Langsam verstrichen die Minuten, und langsam wanderte das Rot des Mondes weiter - von West nach Ost.
    Sie schlug die Hand vor den Mund, um die Dämonen nicht noch zu stärken, indem sie ihre Gedanken aussprach. Mit einem Stoßgebet zu ihrem persönlichen Gott der inneren Kraft beugte sie sich über die zweite Karte, die sie in Arbeit hatte -ein Diagramm der Himmelsherden.
    Diese Karte war wesentlich komplizierter, sie zerfiel in 360 Spalten, die den gesamten Himmel umfassten. Jeweils zwölf Spalten stellten ein Haus dar, und jedes der Häuser stand unter einem Hauptsymbol, das den Jahreszeiten und den Wünschen der Götter entsprechend höher stieg oder niedersank.
    »Auch das ist ungewöhnlich«, murmelte sie nach einem scharfen Blick auf ihre Karte und lehnte sich zurück, um in den Himmel aufzusehen.
    Der Knecht des Frühlings stattete dem winterlichen Haus der Meerbarbe einen Besuch ab. Irgendwie verhielten sich die Himmel kurzfristig so, als befänden sie sich mitten in der Zeit des Regens und der Kälte.
    Eilig befragte sie die Sterne nach der Kraft von Ur. Der größte Stern stand für Lugal und En, die Führer in Krieg und Handel. Dick und hellrot wie eine saftige Frucht hing er am Himmel, weitab jeder möglichen Gefahr. Der Mond war ein Lie-besunterpfand des Gottes Sin an seine irdische Braut, die Ensi. Er war immer noch rot. Kein gutes Zeichen für die Ensi.
    Noch während sie nach oben schaute, fiel in einem kühnen Bogen ein Stern vom Himmel, bis er in den Fluss vor den Toren Urs zu stürzen schien. Der feurig blaue Schweif verblasste am Himmel; der Stern war von Norden her gekommen, durch das Haus der Schweife. Rudi bibberte in der Abendkühle und schauderte gleich noch mal, weil sie die Bewegungen der Götter zu einem Zeitpunkt beobachtet hatte, an dem alle Lehmwesen eigentlich ruhen sollten.
    Sie sammelte ihre Schreibtafeln und Karten ein und huschte über die Stufen nach unten.
    Der Rat würde ihren Kopf fordern, weil sie den Blutmond nicht vorhergesagt hatte - folglich würde sie ganz bestimmt nichts von dem Stern erzählen, obwohl dessen Botschaft wesentlich deutlicher war.
    Aus dem Norden drohte Bedrängnis, Bedrängnis, die mit dem Wasser reiste.
    Und aus dem Himmel drohte Bedrängnis.
    Das Mädchen aus den Marschen schaukelte auf dem Wasser und spähte durch die Dunkelheit, um festzustellen, ob außer ihr noch jemand die Flutwelle überlebt hatte. Sie achtete darauf, nirgendwo mit dem Kopf anzuschlagen, und vermied jeden Lärm, um die Götter nicht zu erzürnen. Die Sterne über ihr schienen so nahe, als könnte man auf ihnen wie auf einer Leiter hochsteigen. Einer raste vom Himmel herab. Mich wird er nicht treffen, dachte sie. Sterne fallen nicht auf Menschen.
    Doch irgendetwas traf das Marschmädchen sehr wohl. Sie sank in einen schwarzen, scheinbar endlosen Tunnel hinab. Durch das wannenwarme Wasser, durch die Erdkruste hindurch bis in den Boden, den sie bepflanzte und besäte. Ich bin auf dem Weg nach Kur, schoss es ihr durch den Kopf. Ich werde bis in alle Ewigkeit Staub essen und im Schatten leben. Mein Dienst an den Göttern ist vorüber.
    Die Alte von Ninhursag hatte dem Mädchen aus den Marschen prophezeit, dass es, da es nach zwei Schlachten der Dunkelheit - wenn der Mond sein Gesicht verbarg - geboren war, auch zwei Bestimmungen habe. Das Marschmädchen hatte eine doppelt so große Aufgabe auf der Welt wie die meisten Menschen, und es trug doppelt so viel Verantwortung. »Du«, hatte die schwarzäugige Alte gesagt, »du wirst zwei Leben leben.« Jetzt allerdings spürte das Mädchen, wie seitlich an ihrem Gesicht Blut herabrann, und schloss die Augen. Die Alte von
    Ninhursag hatte sich geirrt. Sie würde sterben. Sie hatte nur ein einziges Leben, ein
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