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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon
Autoren: Suzanne Frank
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recht«, versicherte sie ihnen. »Geht trinken.«
    Sie jagten Kalam hinterher auf die grüne Weide, während der Bärtige den Arm des Mädchens nahm, um es durch den Bogen und dann in jenen Ort zu führen, den er Ur nannte. »Setz dich«, sagte er, auf eine niedrige Stufe deutend. »Ich bin in einer Minute zurück.«
    In einer Minute. Sechzig Sekunden ergeben eine Minute, sechzig Minuten ergeben eine Stunde, vierundzwanzig Stunden ergeben einen Tag, halt, nein, hier ergeben zwölf Doppelstunden einen Tag. Zitternd legte das Mädchen die Hand an ihren Kopf.
    So saß sie da. Hier bestand nichts aus Schilf. Alles war hart, rötlich gefärbt wie Schlamm, aber hart. Und unfassbar hoch, die Gebäude ragten mindestens so hoch in den Himmel auf wie Bäume. Menschen eilten vorbei, als wären Händler gekommen, um ihre Waren zu verkaufen. Tiere, Ziegen und Schafe, Hunde und Wildesel spazierten durch die Straßen. Kinder ritten darauf, oder sie spielten in den Gassen, rannten hierhin und dorthin. Menschen saßen an die Mauern gelehnt, aßen oder arbeiteten an einem Vlies. An jedem Gebäude lehnten Zelte.
    Der Lärm. Der Gestank. Sie kämpfte gegen das Bedürfnis an, Hals über Kopf zu fliehen, aber es schnürte ihr die Kehle zu und drohte sie zu ersticken. So viele Menschen.
    »Hier bitte.« Der Bärtige hielt ihr eine Schale Wasser hin. Es war keine Lehmschale, aber sie leuchtete auch nicht so hell wie ihre Armreifen oder die Augen des Gottes. Es war eine wärmere Farbe, fast wie die von Lehm. »Sie ist aus Kupfer«, erklärte er. »Trink.«
    »Ningal«, sprach ihn einer der Umstehenden an.
    »Still, sie kann es sich leisten«, sagte er und brachte ihr eine zweite Schale. Das Wasser war kühl, und sie trank eine Schale nach der anderen, bis ihr der Bauch spannte.
    »Wie geht es dir?«, fragte er.
    »Gut.« Sie nickte.
    »Möchtest du etwas essen?«
    Seit ihrer letzten Mahlzeit war ungefähr ein ganzer Tag verstrichen, darum war sie hungrig. Sie nickte noch mal.
    »Ich sag dir was. Warte hier auf mich, schaffst du das?«
    Sie nickte. »Und dann?«
    Er lachte leise. »Dann hole ich dich ab und wir gehen essen. Ich kenne ein paar Leute, die sich für das, was du zu erzählen hast, sehr interessieren werden. Seit der Überschwemmung haben wir niemanden mehr aus der Ebene gesehen. Vielleicht bist du die einzige Überlebende.«
    »Die Einzige«, bestätigte sie. »Ich bin allein.«
    »Du bist nicht allein, du bist hier in Ur. Dreißigtausend Menschen nennen Ur ihr Heim. Ungefähr zehntausend zu viel, aber daran lässt sich nichts ändern. Glaub mir, du bist nicht allein. Aber«, meinte er, »bevor du irgendwohin gehen kannst, brauchst du ein Bad und etwas zum Anziehen.«
    Von überall schauten die Menschen zu ihr her. Aus Fenstern, Türen, Marktständen. Nicht unhöflich, sondern ganz beiläufig. Die meisten waren gewaschen, die meisten waren sauber gekleidet und sahen gut genährt aus.
    Sie zupfte den Saum ihres Rockes nach unten.
    »Warte hier, ich komme gleich wieder.«
    »Was wird aus meiner Herde?«
    Er blieb stehen und rief dann jemanden herbei. Ein kahlköpfiger Mann mit grün umrandeten Augen und einem gezupften
    Filzschurz drängte durch die Menge zu ihnen her. »Was zu kaufen? Oder zu verkaufen?«, erkundigte er sich.
    »Willst du deine Schafe verkaufen?«, fragte der Bärtige.
    Die Schafe waren ihre Familie. Unterwegs hatte sie ihnen Namen gegeben: Mimi, Moma, Dadi, Kami, Blackie, Franci -alberne Namen, bei denen ihr nichtsdestotrotz das Herz aufging. »Nein. Ich möchte sie behalten.«
    »Dann solltest du dir überlegen, ob du sie in Obhut geben möchtest«, sagte der Kahle.
    Sie blickte von dem Bärtigen zum Kahlen. »Kannst du mir das bitte erklären?«
    »Du lässt deine Schafe auf der Gemeindeweide«, antwortete er. »Das Gemeinwesen passt darauf auf, füttert sie und erhält im Gegenzug einen Anteil entweder an der Wolle oder am Fleisch, je nachdem, wofür du sie verwenden willst. Alle Freuden des Besitzes, keinerlei Belastungen.«
    »Falls du dich anders entscheidest und doch verkaufen möchtest«, ergänzte der Bärtige, »kann das Gemeinwesen auch bei diesem Geschäft vermitteln.«
    Sie blickte auf die Lehmscherbe vor ihm. »Gut. Dann gebe ich sie in Obhut.«
    »Ausgezeichnet! Von wie vielen Tieren sprechen wir?«
    Sie erklärte ihm genau, wie sie hießen, was sie gerne fraßen, welche auszureißen versuchen würden.
    Mit dem Ende eines Schilfrohres setzte er Markierungen für ihre Erklärungen. »Dies ist das
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