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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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gut.«
    Was ganz sicherlich bedeutete, daß sie frei und ohne Zwangsprach und niemand ihr den Degen in den Rücken setzte; denn mein Vater streckte den Arm mit der Laterne hervor, ohne jedoch sein Versteck zu verlassen. Nun sah ich die Jacotte hinter dem Gatter stehen, keuchend vom schnellen Lauf, das Gesicht ganz fahl und die Augen voller Schrecken. Sie war in der Tat allein.
    »Miroul, das Gatter!« befahl mein Vater.
    Miroul zog augenblicks das Gatter nach oben und ließ es, sobald die Jacotte hindurchgeschritten, wieder herab.
    »Pierre, das Gatter!« rief mein Vater.
    Ich öffnete das Gatter am Ausgang, und mein Vater, welcher das wackere Weibsbild am Arm gefaßt, kam mit ihr aus dem Gang heraus.
    Jacotte war eine gar große, kräftige und beherzte Frauensperson, die mit einem Messer, welches sie am Gürtel trug, zwei Jahre zuvor einen von vier Strauchdieben niedergestochen, die ihr Gewalt antun wollten. Coulondre Bras de Fer, welcher von ungefähr des Weges kam, machte die drei anderen nieder, aus welchem Grunde sie ihn geehelicht hatte, wiewohl er doppelten Alters denn sie selbst war. Jetzt zitterte diese kräftige Weibsperson, so beherzt sie auch war, gleichwohl wie eine Hündin vor dem Wolf, doch keineswegs um ihretwillen, sondern um ihren Mann, den sie in der Mühle allein gelassen.
    »Wie viele sind es?« fragte mein Vater mit leiser Stimme.
    »Nicht weniger als ein Dutzend und nicht mehr als zwanzig.«
    »Haben Sie Feuerrohre?«
    »Gewiß, doch sie schießen nicht. Und gemäß Euerm Befehl schießt Coulondre ebenfalls nicht. Aber der Arme«, fuhr sie mit zitternder Stimme fort, »kann sich nicht lange halten; diese Hundsfötter haben unsere Reisigbündel vor der Tür aufgehäuft und in Brand gesetzt, und obgleich es eine eichene Tür ist, wird das Feuer sie bald zerstören.«
    »Es wird sie zerstören«, sprach mein Vater mit schneidender Stimme, »doch die Schnapphähne werden keinen Grund zum Jubeln haben. Miroul, lauf und hole mir Alazaïs herbei! Aber hurtig!«
    Miroul eilte hinweg, schnell wie der Pfeil einer Armbrust, und die kurze Weile, bis er, von Alazaïs gefolgt, zurückkam, stand mein Vater nachdenklich da, seine Nase zwischen Daumenund Zeigefinger reibend, und ich wagte kein Wort zu sprechen, da ich ihn also in Gedanken versunken sah.
    Alazaïs, welche – wie mein Vater zu sagen pflegte – die »Stärke zweier Männer besaß, nicht gerechnet ihre moralische Stärke« (denn sie war eine strenge und standhafte Hugenottin), war erschienen, den Oberkörper, welcher bar jeder weiblichen Rundung, mit einem Brustpanzer umgeben und zwei Pistolen nebst einem Messer im Gürtel.
    »Alazaïs«, sprach mein Vater, »die du so schnell läufst, wie der Vogel fliegt, eile zu Cabusse auf Le Breuil und zu Jonas am Steinbruch und gib ihnen Bescheid, sie mögen die Waffen bereithalten und auf der Hut sein, denn es kann geschehen, daß auch sie angegriffen werden.«
    »Ich eile«, antwortete sie.
    »Und sage Escorgol, er möge mir Samson und meine Vettern Siorac schicken. Wir wollen Coulondre Bras de Fer zu Hilfe eilen.«
    »Oh, Moussu lou Baron!« sprach Jacotte, über alle Maßen erleichtert; sie vermochte indes nicht weiterzusprechen, das Gesicht ganz und gar von Tränen benetzt.
    »Jacotte«, sprach mein Vater, ihr mit beiden Händen besänftigend über die Arme streichend, »lauf zu dem Herrn Stallmeister und sage ihm, wohin wir uns begeben, und er möge nichts unternehmen bis zu meiner Rückkehr. Und du, laß dein Kind in Barberines Obhut in der Innenburg, dann komme wieder hierher zurück und schließe das Gatter hinter uns.«
    Was sie getreulich tat. Wir eilten indes den unterirdischen Gang entlang: Samson, Miroul, die Vettern Siorac, ich selbst und mein Vater, welcher, obgleich er sich im vierundfünfzigsten Jahr seines Alters befand, lief wie ein Hase auf dem Felde, die Laterne vor sich haltend. Freilich verlief der Gang sehr abschüssig, da Mespech, wie sein Name wohl besagt
( pech
, das ist: Hügel), auf einer Anhöhe gelegen und die Beunes-Mühle in einer Niederung.
    Coulondre war heilfroh, da wir in seiner Mühle erschienen, obgleich seinem kummervollen Gesicht nichts Derartiges anzusehen war und er stumm blieb wie ein Fisch. Das Gelaß, in welchem der Gang mündete, war reichlich groß und wies zur Linken vorgemeldte Tür auf, welche die Angreifer dem Feuer auszuliefern trachteten, dessen Knistern durch die eichenenBohlen zu hören war; und zur Rechten eine Art Gatter, hinter welchem sich der
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