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Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität

Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität

Titel: Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität
Autoren: Gret Haller
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Juni 1991 für unabhängig. Am 15. Januar 1992 erkannte die Europäische Union die beiden früheren Teilstaaten als souveräne Staaten an. Die Teilrepublik Bosnien-Herzegowina mit ihren drei Bevölkerungsgruppen – 1991 wurden 40% Bosniaken (Bosnier muslimischer Herkunft), 31% bosnische Serben und 17% bosnische Kroaten gezählt – kam damit in eine ausweglose Situation. Schon am 15. Oktober 1991 hatte das Parlament von Bosnien-Herzegowina in Sarajevo die Souveränität erklärt, jedoch ausdrücklich zugleich den Verbleib im bisherigen jugoslawischen Staatsverbund. Dies war allerdings nur denkbar, wenn Slowenien und Kroatien ebenfalls Mitglieder blieben. Die serbischen Mitglieder des bosnischen Parlamentes hatten bei jenem Beschluß den Saal demonstrativ verlassen und bereits am 24. Oktober 1991 eine eigene »Serbische Republik Bosnien-Herzegowina« ausgerufen. Nach der Anerkennung von Slowenien und Kroatien durch die Europäische Union trieben die Bosniaken und die bosnischen Kroaten nun ebenfalls die Schaffung eines souveränen Staates Bosnien-Herzegowina voran, da sie befürchteten, beim Verbleiben in Jugoslawien von den Serben dominiert zu werden. Dem mit 99,4% der Stimmen positiv |21| beantworteten Referendum über die Unabhängigkeit vom 1. März 1992 – die bosnischen Serben hatten den Urnengang boykottiert – folgte am 3. März die Unabhängigkeitserklärung der »Republik von Bosnien-Herzegowina«. Noch bevor die Europäische Union und die Vereinigten Staaten am 7. April 1992 dazu gekommen waren, den neuen Staat anzuerkennen, hatten Truppen der serbisch beherrschten Jugoslawischen Volksarmee die bereits seit langem vorbereitete Belagerung Sarajevos in die Tat umgesetzt. Zwar wurden auf Befehl des jugoslawischen Staatspräsidiums alle aus Serbien und Montenegro stammenden Soldaten und Offiziere aufgefordert, Bosnien-Herzegowina zu verlassen, doch es war ein offenes Geheimnis, daß die Armee zu einer serbischen geworden war.
    Es begann ein äußerst grausamer Krieg, in dessen Verlauf die Jugoslawische Volksarmee zusammen mit Freischärlern zunächst 70% des bosnischen Territoriums eroberte. Der Krieg in Bosnien dauerte fast vier Jahre. Er forderte Tausende von Toten und Verletzten, und er führte zu über einer Million Vertriebener und zu systematischen Menschenrechtsverletzungen. Die Ermordung von mehr als 7000 bosniakischen Männern in Srebrenica und die Vergewaltigung unzähliger muslimischer Frauen in eigens dazu eingerichteten Lagern haben der Weltöffentlichkeit das Grauen vor Augen geführt. Nicht unerwähnt bleiben kann in dieser kurzen Zusammenfassung das Vorrücken der bosnischen Kroaten und der Bosniaken in Westbosnien im Mai 1995 sowie die Offensive der kroatischen Armee im August 1995, durch welche die serbischen Verbände in Bosnien und in Kroatien zurückgedrängt wurden. Seinen formellen Abschluß fand dieser Krieg schließlich im Friedensabkommen, das in Dayton/Ohio in den USA ausgehandelt und am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet wurde. Dem Friedensabkommen war am 14. September 1995 die Aufhebung der Belagerung Sarajevos sowie ein regional begrenzter Waffenstillstand vorausgegangen, nachdem NATO-Verbände mit Ermächtigung der UNO massive Luftangriffe gegen serbische Verbände in der Gegend von Sarajevo und später im ganzen Land durchgeführt hatten. 4
    |22| Monolithische ethnische Identität
    Der Krieg hinterließ die Menschen in Bosnien tief verwundet, und zwar ausnahmslos alle. Wer nicht selbst körperlich verwundet worden war, hatte dennoch Verwundete und Tote in der Familie zu beklagen, und vor allem ältere Menschen litten unter Einsamkeit nach der Flucht von Freunden und Angehörigen, insbesondere der jüngeren Generation, außer Landes. Hinzu kam die tiefe Verletzung durch den Umstand, daß Europa und die Weltöffentlichkeit etwas hatten geschehen lassen, das jeder vernünftige Mensch nie für möglich gehalten hätte und das unter allen Umständen hätte vermieden werden müssen. Was an den Menschen weiterhin nagte, das war die Angst vor erneuter Gewalt und eine ganz generelle wirtschaftliche Zukunftsangst, die sich rückblickend als sehr berechtigt erwiesen hat.
    Es ist verständlich, daß viele Bosnierinnen und Bosnier nach Kriegsende nur noch in ethnischen Kategorien denken konnten. Viele hatten selbst erlebt, wie früher freundlich gesinnte Nachbarn praktisch von einem Tag auf den andern zu Feinden wurden, weil sie einer anderen Volksgruppe angehörten, wie sie sich
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