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Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität

Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität

Titel: Die Grenzen der Solidarität - Haller, G: Grenzen der Solidarität
Autoren: Gret Haller
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föderalistische Struktur des neugeschaffenen Staates. Andererseits ließ die kommunistische Ideologie ohnehin wenig Attraktivität für ethnische oder insbesondere religiöse Identität, viel wichtiger war die Parteizugehörigkeit. Wurde in der Volkszählung nach der religiösen Zugehörigkeit gefragt, so figurierte neben der katholischen, der orthodoxen, der muslimischen und anderen Religionszugehörigkeiten immer auch der Atheismus in der Liste der ankreuzbaren Felder. Zum Beispiel für Personen aus gemischten Ehen oder für solche, die einer Identität aus der ethnischen Herkunft aus grundsätzlichen Erwägungen wenig abgewinnen konnten, bot ein Kreuz in diesem Feld einen einfachen Ausweg, der recht häufig gewählt worden sein soll. Es waren oft dieselben Leute, die sich als Jugoslawen bezeichneten, wenn sie nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit befragt wurden, und dies waren nicht wenige. Ethnische und religiöse Zugehörigkeit verschwanden in der Identität also gleichsam hinter der Staatsangehörigkeit, wie es in Westeuropa im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte mehr oder weniger üblich geworden ist, obwohl die Gründe dafür nicht dieselben waren: In Westeuropa entstanden echte staatsbürgerliche Identitäten, während in Jugoslawien diese »Identität« für viele den Ausweg aus einer illusorisch gewordenen oder bewußt abgelehnten nur ethnisch ausgerichteten Zuordnung bot. Immerhin entwickelte sich unbestrittenermaßen eine ethnisch tolerante Atmosphäre, wozu auch die Öffnung |19| Jugoslawiens gegen Westeuropa und die damit verbundene Wanderungsbewegung von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern beigetragen hat. Diese brachten neben einem Teil ihres Lohnes auch westliche Sichtweisen in ihr Heimatland zurück. Warum aber fand dieses relativ unbekümmerte Zusammenleben so plötzlich ein Ende?
    Die Zeit nach Tito
    Als nach Titos Tod im Jahre 1980 das Auseinanderbrechen Jugoslawiens zu einer möglichen Entwicklung und nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 auch klar wurde, daß die kommunistische Ideologie als Machtbasis ausgedient hatte, hielten einige, die in der kommunistischen Partei Jugoslawiens groß geworden waren, Ausschau nach einer neuen ideologischen Grundlage zur Bewahrung ihrer Macht. Es brauchte nicht viel Phantasie, sondern bedurfte eher der Erinnerungsfähigkeit oder der Geschichtskenntnisse über einige Jahrzehnte zurück, um den Ethnonationalismus als taugliche Grundlage zu entdecken, eine Ideologie, in welcher die Identität vollumfänglich aus der Abstammung von einer bestimmten Volksgruppe hergeleitet wird. 3 Verbunden ist diese Ideologie mit dem Anspruch auf ein eigenes territoriales Gebiet, das der beanspruchenden Volksgruppe in der Form eines eigenen Nationalstaates zur Verfügung stehen soll. Die Voraussetzungen für den Umbau der Machtbasis vom Kommunismus zum Ethnonationalismus waren im früheren Jugoslawien geschichtsbedingt geradezu »ideal«, man konnte vor allem auf die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg zurückgreifen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich auf ihre ethnische Herkunft zurückzubesinnen, und dies mit ganz verschiedenen Methoden, die von subtilen Verunglimpfungen anderer ethnischer Gruppen über pseudowissenschaftliche, rassistische Theorien bis zur ethnischen Volksverhetzung in Massenversammlungen reichten. Ziel war das Schüren des Hasses auf die anderen ethnischen Gruppen und die Herstellung von Gewaltbereitschaft gegenüber diesen. Eine bosnische Mitarbeiterin erzählte mir |20| einmal etwas mehr über diese Verhetzungskampagnen. Sie war eine konsequente Anhängerin des friedlichen Zusammenlebens der Völker und war dies immer gewesen. Zu Beginn der Verhetzungskampagnen hatte sie längere Zeit an der Küste der Adria Ferien verbracht, d. h. in der damaligen kroatischen Teilrepublik Jugoslawiens. Dort sei sie als Bosnierin vom Beginn der kroatischen Kampagne überrascht worden, aber die Darstellungen im kroatischen Fernsehen seien so drastisch, so raffiniert und so überzeugend gewesen, daß sie die Aussagen fast geglaubt hätte, obwohl sie als Bosnierin nicht kroatischer Abstammung war.
    So also wurde der Boden vorbereitet für das, was folgte: Nachdem die Teilrepubliken Slowenien und Kroatien in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren durch Gesetze und Verfassungsänderungen eine Loslösung von Jugoslawien vorbereitet hatten, führten sie Referenden zur staatlichen Souveränität durch und erklärten sich beide am 25.
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