Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe
Autoren: Truman Capote
Vom Netzwerk:
geschniegelt und gebügelt; ihre Backen waren so rot wie Lutschbonbons und ihre Kinnladen mit mehr Watte ausgestopf als je. Sie sagte: „Liebling, du mußt aufstehen, du ruinierst dein hübsches Kleid da." Es war ein Kattunkleid, das Verena von Chicago mitgebracht hatte. Dolly richtete sich auf, glättete es und legte sich augenblicklich wieder hin. „Wenn Verena nur wüßte, wie leid es mir tut", sagte sie hilfos, und ich ging also und teilte Verena mit, daß Dolly krank sei. Verena antwortete, sie werde selbst nachsehen und marschierte ab und ließ mich in der Halle mit Doktor Morris Ritz allein.
       Oh, er war ein hassenswertes Geschöpf. „So, du bist sechzehn", begann er und zwinkerte mir erst mit dem einen und dann mit dem anderen seiner unverschämten Augen zu. „Und du machst es allein, he? Bring die alte Dame dazu, daß sie dich das nächste Mal mit nach Chicago nimmt. Da gibt's ne Menge gutes Material, mit dem man's machen kann." Er schnalzte mit den Fingern und steppte mit seinen knarrenden, messerspitzen Schuhen, als ob er den Takt zu einem Schlager klopfen wollte. Er hätte Steptänzer oder Barmixer sein können, bis auf die kleine Mappe, die er trug und die auf eine seriösere Beschäfigung schließen ließ. Ich fragte mich, was für eine Art von Doktor man in ihm vermuten solle, und war tatsächlich schon drauf und dran, mich danach zu erkundigen, als Verena zurückkehrte und Dolly am Ellbogen vor sich her steuerte.
    Die Schatten in der Halle, die Teppiche und Möbel vermochten nicht, sie unsichtbar zu machen; mit niedergeschlagenen Augen streckte sie ihre Hand vor, und Doktor Ritz packte sie so ungestüm, schwenkte sie so hefig, daß sie beinahe das Gleichgewicht verlor. „Angenehm, Miß Talbo, es ist mir eine Ehre, Sie zu sehen", sagte er und grif nach seiner regenbogenbunten Krawatte.
    Wir setzten uns zum Essen, und Catherine servierte das Huhn. Sie bot Verena an und dann Dolly, und als der Doktor an die Reihe kam, erklärte er: „Ofen gestanden, das einzige vom Huhn, aus dem ich mir etwas mache, ist das Hirn; ich will nicht annehmen, du hast diese Kostbarkeit in der Küche gelassen, Mammy?"
       Catherine blickte so scharf auf ihre Nasenspitze, daß sie beinahe schielte; und mit ihrer von Watte gelähmten Zunge radebrechte sie, daß Dolly das Hirn auf ihren Teller genommen habe.
       „Jesus, dieser südliche Dialekt", sagte Doktor Ritz wahrhaf bestürzt.
       „Sie sagt, daß ich das Hirn auf meinem Teller habe", erklärte Dolly und ihre Wangen röteten sich wie die Catherines. „Aber bitte erlauben Sie, daß ich es Ihnen hinüberreiche."
       „Wenn es Ihnen bestimmt nichts ausmacht …"
       „Es macht ihr nicht das geringste aus", beteuerte Verena, „sie ißt sowieso nur süße Sachen. Hier, Dolly, nimm dir Bananenpudding."
       Plötzlich begann Doktor Ritz zu niesen. „Diese Blumen da, diese Rosen, meine alte Allergie …"
       „O lieber Gott", sagte Dolly, die eine Gelegenheit erspähte, in die Küche zu entkommen; sie ergrif den Aufsatz mit den Rosen – er entglitt ihr, Kristall zersplitterte, die Rosen landeten in der Sauce und die Sauce landete auf uns. „Ihr seht es", murmelte sie zu sich selbst, „ihr seht, es ist hofnungslos."
       „Nichts ist hofnungslos, Dolly; setz dich und iß deinen Pudding auf", belehrte Verena sie in ihrem sachlichen und hochnäsigen Ton. „Wir haben außerdem eine kleine nette Überraschung für dich. Morris, zeigen Sie Dolly diese reizenden Etiketten."
       Gemurmel: „Es macht gar nichts." Doktor Ritz hörte auf, sich die Saucenfecken vom Ärmel zu reiben. Er ging in die Halle und kehrte mit einer Aktentasche zurück. Seine Finger raschelten durch ein Papierbündel und förderten ein großes Kuvert zutage, das er Dolly überreichte.
       In dem Kuvert waren gummierte Etiketten, dreieckig, mit orangefarbenen Buchstaben: Zigeunerkönigin-Tropfenkur, dazu das aufallende Bild einer Frau in einem indischen Bandanaschal und mit goldenen Ohrringen. „Erstklassig, was?" sagte Doktor Ritz. „Hergestellt in Chicago. Das Bild hat ein Freund von mir entworfen. Wirklicher Künstler, der Bursche."
       Dolly schob die Etiketten mit einem verwirrten und besorgten Ausdruck hin und her, bis Verena fragte: „Gefallen sie dir etwa nicht?"
    Dollys Hand mit den Etiketten zuckte krampf haft. „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz."
       „Natürlich verstehst du", sagte Verena mit einem dünnen Lächeln. „Es ist ja
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher