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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe
Autoren: Truman Capote
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Denn ein paar Tage später, auf seinem Weg hinauf nach Mobile, schleuderte sein Wagen und stürzte aus hundertfünfzig Metern Höhe hinunter in den Golf. Als ich ihn wiedersah, lagen Silberdollars auf seinen Augenlidern.
       Bis dahin hatte mir – außer der Bemerkung, ich sei klein für mein Alter, ein Zwerg – niemand irgendwelche Beachtung gezollt; aber jetzt zeigten die Leute auf mich und sagten: „Ist das nicht traurig? Dieser arme kleine Collin Fenwick!" Ich versuchte, bedauernswert auszusehen, denn ich wußte, das mochten die Leute; jedermann in der Stadt bedachte mich mit Limonade oder einer Schachtel Feuerwerk, und in der Schule bekam ich zum ersten Male gute Noten. Es dauerte eigentlich lange, ehe ich mich so weit beruhigte, um Dolly Talbo zu bemerken.
       Und als das geschah, war ich ihr in Liebe zugetan.
       Man stelle sich vor, was es zunächst für sie bedeuten mußte, als ich, ein lauter und neugieriger Junge von elf Jahren, ins Haus kam. Sie füchtete vor dem Lärm meiner Schritte, und wenn sie mir gar nicht ausweichen konnte, schloß sie sich wie die Blätter empfndsamen Farns. Sie gehörte zu jenen Menschen, die sich selbst in einen Gegenstand im Zimmer, in einen Schatten im Winkel verwandeln können, und deren Vorhandensein dann eine köstliche Entdeckung ist. Ihre Schritte waren lautlos, sie trug strenge, jüngferliche Kleider, deren Säume bis zu den Knöcheln gingen. Obgleich sie älter als ihre Schwester war, hatte man den Eindruck, sie sei, genau wie ich, von Verena adoptiert. Angezogen und gelenkt von der Schwerkraf des Planeten Verena, kreisten wir jeder für sich in der Ekliptik des Hauses.
       Auf dem Dachboden, einer liederlichen Ansammlung von ausrangiertem Kram aus Verenas Läden, waren eine Anzahl loser Dielenbretter, und wenn ich sie zollweise verrückte, konnte ich fast in jedes Zimmer hinuntersehen, Dollys Zimmer, im Unterschied zum übrigen Haus, das mit schweren, pompösen Möbeln vollgestopf war, enthielt nur ein Bett, einen Sekretär und einen Sessel; eine Nonne hätte darin leben können, bis auf das eine: alles, die Wände, sogar der Fußboden waren in einem altmodischen Rosa gemalt. Wenn ich Dolly nachspionierte, fand ich sie gewöhnlich über zwei Beschäfigungen: entweder stand sie vor dem Spiegel und schnippelte mit einer Gartenschere an ihrem ohnehin schon kurzen weißgelben Haar herum, oder sie schrieb mit Bleistif auf einer Schreibunterlage aus rauhem Kreppapier. Sie befeuchtete den Bleistif mit der Zungenspitze, und manchmal sprach sie den Satz, den sie notierte, laut vor sich hin: „Essen Sie keine Süßigkeiten wie Kandiszucker, und Salz wird Sie bestimmt umbringen." Ich will es verraten, sie schrieb Briefe. Diese Korrespondenz war zunächst ein Rätsel für mich. Genau genommen war ihre einzige Freundin Catherine Creek; niemals sah sie jemand anderen, und nie verließ sie das Haus, ausgenommen einmal in der Woche, wenn sie mit Catherine in die Flußwälder ging, um die Kräuter zu einer Arznei zu sammeln, die sie braute und auf Fläschchen füllte. Später entdeckte ich, daß sie im ganzen Staat Kunden für diese Medizin hatte, und an diese waren ihre vielen Briefe gerichtet.
      Verenas Zimmer, das durch einen Gang mit dem von Dolly verbunden war, war wie ein Büro eingerichtet. Da stand ein Schreibpult mit Rolladen und eine ganze Bibliothek von Geschäfsbüchern und Registraturordnern. Nach dem Abendessen saß sie, die Augen von einem grünen Schirm beschattet, an ihrem Pult, rechnete Zahlenreihen zusammen und blätterte in ihren Kontobüchern, bis die Straßenlaternen erloschen. Obgleich Verena mit vielen Leuten diplomatisch geschickt verkehrte, hatte sie eigentlich keine nahen Freunde. Männer hatten Angst vor ihr, und sie selbst schien Angst vor Frauen zu haben. Einmal vor Jahren wurde sie von einem blonden, hübschen Mädchen namens Maudie Laura Murphy gefesselt, die kurze Zeit im Postamt arbeitete und die schließlich einen Spirituosenhändler aus St. Louis heiratete. Verena war darüber sehr erbittert gewesen und behauptete in aller Öfentlichkeit, der Mann sei nicht seriös. Um so erstaunlicher war es, daß sie dem Paar eine Hochzeitsreise ins Grand Canyon schenkte. Maudie und ihr Mann kamen niemals zurück; sie eröfneten eine Tankstelle beim Grand Canyon und sandten Verena von Zeit zu Zeit Photos von sich. Diese Bildchen waren eine Freude und ein Kummer. Es gab Nächte, in denen sie ihre Kontobücher nicht aufschlug, sondern über den auf
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