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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe
Autoren: Truman Capote
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denn ich verübelte es ihr, daß sie auf den Verkehr mit mir angewiesen war. Erst ließ ich einen Tag verstreichen, ohne sie zu sehen, dann drei, und endlich eine ganze Woche. Wenn ich nach solchen Pausen wiederkam, bildete ich mir ein, unser Mangel an Gesprächsstof und ihre kurz angebundene Art seien von ihrer Seite aus vorwurfsvoll gemeint. Ich war noch zu selbstbewußt, um zu erkennen, daß es ihr in Wirklichkeit ganz einerlei war, ob ich kam oder nicht. Eines Nachmittags gab sie mir das zu verstehen. Sie entledigte sich ganz einfach der Wattepolster zwischen ihren Kinnladen. Ohne die Watte waren mir ihre Worte so unverständlich, wie sie es gemeinhin allen anderen waren. Das geschah, als ich gerade nach einer Entschuldigung suchte, um meinen Besuch abzubrechen. Sie hob die Ringe ihres dickbäuchigen Ofens heraus und spuckte die Watte ins Feuer; ihre Wangen fielen sofort ein; und sie sah ganz verhungert aus. Heute nehme ich nicht mehr an, daß das ein Akt der Rache war; es hatte nur den Zweck, mir zu bedeuten, daß ich ihr gegenüber zu nichts verpfichtet sei. Sie zog es vor, das Zukünfige mit niemanden mehr zu teilen.
       Manchmal fuhr mich Riley herum, aber ich konnte auf ihn und seinen Wagen nicht fest rechnen. Seit er ein Geschäftsmann geworden war, stand er einem nicht mehr zur Verfügung. Er hatte einen Zug von Traktoren, die neunzig Acker Land bearbeiteten, die er vor der Stadt erworben hatte; er wollte dort Häuser bauen. Verschiedene Lokalgrößen unserer Stadt waren beeindruckt von einem weiteren seiner Pläne: die Stadt sollte eine Seidenfabrik errichten, an der jeder Bürger als Aktionär beteiligt sei. Über den möglichen Gewinn hinaus würde das unsere Einwohnerzahl erhöhen. Anläßlich dieses Vorschlages war ein begeisterter Leitartikel in der Zeitung. Dieser ging so weit zu behaupten, unsere Stadt müsse stolz darauf sein, einen jungen Mann von Riley Hendersons Unternehmungsgeist hervorgebracht zu haben. Er ließ sich einen Schnurrbart wachsen und mietete ein Büro, in dem seine Schwester Elizabeth als seine Sekretärin arbeitete. Maude Riordan studierte an der Staatsuniversität, und beinahe jedes Wochenende fuhr er seine Schwestern hinüber; man vermutete, er täte das, weil die Mädchen sich ohne Maude einsam fühlten. Der ‚Courier' kündigte die Verlobung von Miß Maude Riordan mit Mr. Riley Henderson unter den Aprilscherzen an.
       Mitte Juni tauschten sie vor dem Altar die Ringe; ich agierte als Zeremonienmeister, und der Richter Cool war Rileys Trauzeuge. Alle Brautjungfern, mit Ausnahme von Rileys Schwestern, waren Mädchen aus der Gesellschaf, die Maude auf der Universität kennengelernt hatte. Der ‚Courier' nannte sie in einem ritterlich geschriebenen Artikel wunderschöne Debütantinnen. Die Braut trug ein Bukett aus Jasmin und Flieder im Arm; der Bräutigam trug Gamaschen und zwirbelte seinen Schnurrbart. Sie hatten einen mit prächtigen Hochzeitsgeschenken beladenen Tisch. Ich schenkte ihnen sechs Stück parfümierter Seife und einen Aschenbecher.
       Nach der Hochzeit wanderte ich mit Verena im Schatten ihres schwarzen Sonnenschirmes nach Hause. Es war ein glühender Tag, Hitzwellen vibrierten durch die Luf wie die Schallwellen der berühmten Glocken der Baptistenkirche, und der Rest des Sommers, eine Aussicht, starr und gerade wie die nachmittägliche Straße, dehnte sich vor mir. Sommer, ein zweiter Herbst, wieder ein Winter – keine Spirale, aber ein Kreis, wie der Schatten des Schirmes, mit dem Zirkel geschlagen. Ob ich jemals den Sprung wagen würde? Mit Herzklopfen tat ich ihn. „Verena, ich möchte fortgehen."
       Wir standen an der Gartentür. „Ich weiß. Ich möchte es auch", sagte sie und schloß ihren Schirm. „Ich hatte gehof, mit Dolly eine Reise zu machen. Ich wollte ihr das Meer zeigen." Verena hatte durch ihre selbstbewußte Haltung immer als hochgewachsene Frau gewirkt. Nun aber ging sie leicht gebeugt, und ihr Kopf nickte. Ich wunderte mich, daß ich jemals hatte Angst vor ihr haben können, denn nun war sie weiblich geworden, sie sprach von Einbrechern, verrammelte ihre Türen mit Schlössern und bespickte ihr Dach mit Blitzableitern. Sie hatte die Gewohnheit gehabt, jeden Monat herumzupirschen, um persönlich die verschiedenen Außenstände, die man ihr schuldete, einzutreiben; als sie mit diesem Brauch auförte, war die Stadt beunruhigt, die Leute fühlten sich nicht wohl ohne diese Gewittergefahr. Die Frauen meinten: Sie hat eben keine
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