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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe
Autoren: Truman Capote
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bei mir trinken könnte. Wenn ich geglaubt hätte, sie sei wirklich durstig, dann hätte ich es recht gefunden, aber ich wußte, daß sie mich anschwindelte, nur um das Haus von innen sehen zu können, was alle Leute immerfort wollten, und ich sagte ihr also, sie sollte mit dem Wasser lieber warten, bis sie zu Hause wäre. Sie sagte: „Alle Welt weiß, daß mit Dolly Talbo nichts los ist und mit dir auch nicht." Ich mochte das Mädchen eigentlich gern, aber ich gab ihr trotzdem einen Puf, und sie meinte, ihr Bruder würde es mir schon heimzahlen, was er auch tat. Genau hier an meinem Mundwinkel habe ich noch die Narbe von der Coca Cola Flasche, mit der er auf mich einhieb.
      Ich wußte, was man sich erzählte: Dolly sei ein rechtes Kreuz für Verena, und außerdem, im Talbohaus gingen Dinge vor, die man sich nicht träumen ließe. Mag es so gewesen sein! Aber jene Jahre waren die wunderbaren Jahre.
      An Winternachmittagen, gleich wenn ich aus der Schule kam, riß Catherine ein Glas mit Eingemachtem auf, während Dolly einen großen Topf Kafee auf den Herd setzte und ein Blech mit Plätzchen ins Rohr schob; beim Öfnen entströmte dem Rohr der Duf heißer Vanille, denn Dolly, die nur von süßen Sachen lebte, buk ununterbrochen, entweder einen Pfundkuchen oder ein Rosinenbrot, kleines Teegebäck oder Nugatbonbons. Sie rührte Gemüse nicht an, und das einzige Fleisch, das sie mochte, war Hühnerhirn, erbsengroß, es schmolz auf der Zunge, ehe man es schmeckte. Die Küche mit dem holzgeheizten Herd und einer offenen Feuerstelle war warm wie eine Kuhzunge. Alles, was der Winter vermochte, war, daß auf dem Nullpunkt die Scheiben unter seinem kalten blauen Atem gefroren. Wenn irgendein Zauberer mir ein Geschenk machen wollte, würde ich ihn um eine Flasche bitten, in der die Geräusche jener Küche eingefangen wären, das Hahaha und das Knistern des Feuers, eine Flasche übervoll mit dem Duf des Butterund Zuckergebäcks – wenn auch Catherine roch wie ein Mutterschwein im Frühling. Die Küche sah eher wie eine gemütliche Stube aus; auf dem Fußboden lag ein verbrauchter Wollteppich, es waren Schaukelstühle da, längs den Wänden hingen Bilder von jungen Katzen, die Dolly begeisterten. Da gab es ein Geranium, das nicht nur einmal, sondern das ganze Jahr hindurch blühte, und in einem Glas auf dem mit Wachstuch bedeckten Tisch Catherines Goldfsche, die mit ihren Schwänzen durch die Tore der Korallenburg fächerten. Manchmal spielten wir Bilderpuzzle, dessen Stückchen wir unter uns verteilten, und Catherine versteckte Teile davon, wenn man sein Bild beinahe fertig hatte, noch ehe es zustande kam. Oder sie halfen mir bei meinen Hausaufgaben – aber das gab ein Durcheinander. In alle natürlichen Dinge war Dolly eingeweiht; sie hatte das geheimnisvolle Erkenntnisvermögen einer Biene, die die honigreichsten Blumen zu fnden weiß. Einen Sturm konnte sie einen Tag voraussagen und die Fruchtzeit des Feigenbaumes prophezeien. Sie konnte uns zu den Pilzen oder zu dem wilden Honig oder zu dem versteckten Nest mit den Eiern der Guineahenne führen. Sie blickte um sich und erspürte das, was sie fand. Aber was die Hausaufgaben betraf, war Dolly ebenso unwissend wie Catherine. „Amerika muß schon Amerika geheißen haben, ehe Kolumbus kam. Das ist doch klar. Woher hätte er sonst gewußt, daß es Amerika ist?" Und Catherine sagte: „Das stimmt, Amerika ist ein altes indianisches Wort." Catherine war die Schlimmere von den beiden; sie bestand auf ihrer Unfehlbarkeit, und wenn man nicht genau niederschrieb, was sie sagte, begehrte sie auf und verschüttete den Kaffee oder sonst etwas. Aber ich glaubte ihr nichts mehr nach dem, was sie von Lincoln behauptete – er sei halb Neger, halb Indianer gewesen, mit einem nur kleinen weißen Einschlag. Ich sogar wußte, daß das nicht zutraf. Aber ich bin Catherine besonders verpfichtet; wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich schwerlich eine normale menschliche Größe erreicht. Mit vierzehn war ich nicht größer als Biddy Skinner, von dem die Leute erzählten, er habe Anträge von einem Zirkus erhalten. Catherine sagte: „Gräme dich nicht, Liebling, du brauchst nur ein bißchen gestreckt zu werden." Sie zog an meinen Armen und Beinen und zerrte an meinem Kopf, als sei er ein Apfel an einem unnachgiebigen Zweig. Aber es ist wahr, sie hatte mich in zwei Jahren von hundertfünfzig Zentimeter auf hundertsiebzig gestreckt, das beweisen die Kerben, die mit dem Brotmesser in die
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