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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin
Autoren: Peter Prange
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gleich darauf fielen Dutzende von Stimmen in den Schlachtruf ein, von allen Seiten des Platzes. »Misericordia! Misericordia!«
    Im selben Moment brach die Hölle los. Bewaffnete Soldaten, zu Fuß und zu Pferde, preschten zwischen die Menschen. Wahllos griffen sie einzelne aus der Menge heraus, schlugen und hieben auf sie ein, Greise und Kinder, Männer und Frauen ohne Unterschied, trieben sie mit Piken und Schwertern vor sich her, in die Richtung von Santa Justa. An Stricken und Kleidern, an Haaren und Bärten zogen und zerrten sie ihre Opfer die Stufen der Kirche hinauf, um mit ihnen im Dunkel des Gotteshauses zu verschwinden.
    Philippa war starr vor Entsetzen. »Was haben sie vor?«, flüsterte sie. »Wollen sie uns - töten?«
    Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »schlimmer! Sie wollen uns
taufen!«
Mit der Faust schlug er sich gegen Brust und Stirn, bevor er die Augen zum Himmel hob, um zu Gott zu beten. »Wer vermag Deinem Zorn zu entkommen, Gott, wenn Dein Volk so viel Schuld auf sich geladen hat? Möge sich an uns erfüllen, was in der Schrift geschrieben steht: >Denn der Herr wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Erde bis ans andere, und du wirst dort anderen Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter.<«
    Philippa flüchtete sich in die Arme ihrer Mutter, und gleichzeitig erhob sich ein Heulen und Zähneknirschen über dem Platz, wie kein Ohr es je vernommen hatte. Menschen, die sich mit all ihren Kräften aneinanderklammerten, um nicht getrennt zu werden, wurden mit Peitschenhieben auseinandergejagt. Kinder wurden ihren Müttern entrissen, Frauen ihren Männern. Bald war die Praca do Rossio ein wogendes Meer der Verzweiflung. Wie Wahnsinnige irrten Väter umher, auf der Suche nach ihren Angehörigen, Greisinnen setzten sich wie Löwinnen zur Wehr, um ihre Enkel vor dem Zugriff der Soldaten zu retten. Unbeirrt fuhr Philippas Vater in seinem Gebet fort, um Gottes Strafgericht zu preisen. »>Dort wird der Herr dir ein bebendes Herz geben und erlöschende Augen und eine verzagende Seele, und dein Leben wird immerdar in Gefahr schweben. Tag und Nacht wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Morgens wirst du sagen: Ach, dass es Abend wäre!, und abends wirst du sagen: Ach, dass es Morgen wäre.<« Verzweifelt blickte Philippa sich um. Wo war der Messias? Der fremde Erlöser, der eben noch die Befreiung verheißen hatte? Als sie den Morgenländer entdeckte, drängte ein Schrei in ihre Kehle und stieg mit solcher Macht in ihr auf, als wollte er ihr die Brust zerreißen, und blieb ihr doch im Halse stecken. Eine Axt, blinkender Stahl in der Sonne, fuhr auf das Haupt des Orientalen nieder und spaltete seinen Schädel in zwei Teile. »>Also spricht der Herr: Man wird sie hinstreuen vor die Sonne, den Mond und das ganze Himmelsheer ... Sie sollen weder aufgesammelt noch begraben werden. Dünger auf dem Acker sollen sie sein. Und besser als das Leben wäre der Tod auch für die anderen, die übrig geblieben sind ...<«
    Obwohl Philippa vor Angst kaum einen Gedanken fassen konnte, begriff sie den Zweck des blutigen Schauspiels so deutlich, als wäre er mit Flammen in den Himmel geschrieben: Kein Jude sollte diesen Tag überleben - entweder er wurde als Christ durch die Taufe wiedergeboren, oder aber er ging in den Tod. »>Wie durch einen Ostwind will ich sie zerstreuen vor ihren Feinden. Ich aber zeige ihnen den Rücken und nicht das Gesicht am Tag ihres Verderbens .. .<«
    Plötzlich verstummte Philippas Vater in seinem Gebet. Wie eine der zehn Plagen schwärmten überall Mönche und Priester aus. Von allen Ecken und Enden des Platzes kreisten sie ihre Opfer ein. Bewaffnet mit Eimern und Kübeln, gossen sie Wasser über die Köpfe der Juden, die kreischend auseinanderstoben. Wenn nur ein Tropfen ihren Leib berührte, wäre es um ihre Seele geschehen.
    »Ich taufe euch im Namen des allmächtigen Gottes - des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen!« Panik überfiel Philippa, und mit ihrer ganzen Kraft riss sie sich aus den Armen ihrer Mutter.
    Da aber verdunkelte sich der Himmel vor ihren Augen. Als wäre eine finstere Wolke vor die Sonnenscheibe getreten, hatte ihr Vater sich über sie gebeugt, die Ärmel seines Mantels zu beiden Seiten erhoben, zwei schützende Flügel. Wie ein Todesengel breitete er den Mantel um sie aus, hüllte sie ein, um sie vor der Befleckung durch die Taufe zu bewahren. Zärtlich lächelte er ihr zu, doch aus
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