Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
bisschen betrunken. Wieso passiert das Umgekehrte des Normalen immer nur uns? Vielleicht hatten die Delphine ihn schon ein Dutzend Mal gerettet. Irgendwann war's genug. Was meinst du?«
    »Vielleicht sollten wir das offiziell machen«, sagte Arkadi.
    »Was offiziell machen?«
    »Dass Russland auf dem Kopf steht.«
    Arkadi stand weder auf dem Kopf noch auf den Füßen. Er war ein Ermittler, der nichts ermittelte. Der Staatsanwalt sorgte dafür, dass Arkadi seine Anweisungen befolgte, indem er ihm keine gab, über die er sich hätte hinwegsetzen können. Wo es keine Ermittlungen gab, konnten auch keine Ermittlungen außer Kontrolle geraten. Arkadi wurde ignoriert und durfte seine Zeit damit verbringen, Romane zu lesen oder Blumen zu arrangieren.
    Aber obwohl er Zeit hatte, verbrachte er sie nicht mit Schenja. Mit fünfzehn war der Junge auf dem Höhepunkt einer mürrischen Pubertät. Ob er zur Schule ging? Arkadi hatte keinen Einfluss darauf. Sein Status dem Jungen gegenüber war nicht offiziell. Er konnte Schenja nichts weiter bieten als ein sauberes Bett für die Nacht. Manchmal sah Arkadi ihn eine Woche lang nicht, und dann entdeckte er Schenja zufällig in seinem anderen, geheimen Leben, wo er in einem Kapuzen-Sweatshirt mit einer Straßenbande vorbeitrottete. Wenn Arkadi sich nähern wollte, warf Schenja ihm nur einen eisigen Blick zu. Der Leiter des Kinderheims, aus dem Schenja kam, behauptete, Arkadi und der Junge hätten eine spezielle Beziehung. Schenjas Vater hatte auf Arkadi geschossen. Wenn das keine spezielle Beziehung war, was war dann eine?
    Freunde waren mit Champagner und Kuchen erschienen, um Arkadis Geburtstag zu feiern, und sie hatten so wehmütige und eloquente Reden über den Preis der Integrität gehalten, dass die Frauen geweint hatten. Ein paar der betrunkeneren Männer ebenfalls, und Arkadi hatte von einem zum andern gehen und ihnen versichern müssen, dass er nicht tot war.
    Er hatte ein Kündigungsschreiben verfasst.
    »Mit Wirkung von heute Mittag, zwölf Uhr, lege ich mein Amt im Dienste der Staatsanwaltschaft der Russischen Republik nieder. Arkadi Kyrilowitsch Renko, leitender Ermittler für schwere Straftaten.«
    Aber Surin eine solche Genugtuung zu bereiten war unerträglich. Arkadi hatte den Brief im Aschenbecher verbrannt. Und die Tage vergingen.
     
    Arkadi hatte eine neue Nachbarin auf seiner Etage, eine junge Frau, die zu allen möglichen Zeiten unterwegs war und manchmal Hilfe brauchte, wenn sie in ihrer voluminösen Tasche den Wohnungsschlüssel suchte. Sie war Journalistin und noch jung genug, um die Kerze an beiden Enden brennen zu lassen. Eines Nachts hatte sie mit einem blauen Auge vor seiner Tür gestanden, und irgendein Freund war ihr dicht auf den Fersen gewesen. Ein Blick auf Arkadis Missfallen und die Pistole in seiner Hand hatte genügt, und der Freund war die Treppe hinuntergeflüchtet.
    Am nächsten Abend klopfte sie an Arkadis Tür und sah die im Wohnzimmer verstreuten Flaschen und Teller von seinem Geburtstagsfest.
    »Eine Party?«
    »Nicht die Plünderung Roms. Nur ein paar Freunde.«
    »Nächstes Mal sagen Sie mir Bescheid.« Sie holte zwei Dosen Ossetra-Kaviar aus ihrer Tasche und gab sie ihm, zweimal hundertfünfundzwanzig Gramm, zusammen rund achthundert Dollar wert.
    »Das geht nicht.«
    »Wir sind quitt. Ich kriege dauernd welchen, und ich kann Kaviar nicht ausstehen. Wo ist die Frau, die hier gewohnt hat?«
    »Sie ist gegangen.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie sie nicht in kleine Stücke zerhackt und mit der Post im ganzen Land herumgeschickt haben? War nur ein Scherz. Sie haben meinem Freund Lew eine Scheißangst eingejagt. Geschieht ihm recht.«
    Sie hieß Anja Walidowa. Seltsamerweise sah er sie eine Woche später im Fernsehen. Mit der Objektivität einer Wissenschaftlerin diskutierte sie über Gewalt im Film. Ihr blaues Auge war verheilt.
     
    Die Zentrale rief, und Arkadi meldete sich an Viktors Stelle. »Orlow.«
    Die Frau in der Leitstelle war vorsichtig. Sie wollte wissen, ob er diensttauglich sei. »Ja«, sagte Arkadi.
    »Als Sie sich vor einer Weile gemeldet haben, klangen Sie nämlich nicht so gut. Die Leute reden über Sie.« »Sollen mich am Arsch lecken.«
    »Na, Sie hören sich wirklich besser an. Können Sie eine Drogenleiche vertragen? Die Krankenwagen verspäten sich.«
    »Wo?«
    Während Arkadi zuhörte, vollführte er eine zufriedenstellende Wende in den Gegenverkehr.
    Was in den Reiseführern Komsomol-Platz hieß, nannten die Moskauer die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher