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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein
Autoren: Gabriele Beyerlein
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erreichen konnte, bin ich selbst gekommen.
    Ich habe es getan, Mutter. Ich wollte nicht warten, bis Plitovit König ist. Wer kann wissen, ob ich so viel Zeit habe? Falls ich bei der Geburt meines Kindes sterbe – ich kann in Frieden gehen.«
    »Meine Tochter«, sagte Moria und drückte Ria an sich. Diese lehnte ihren Kopf an Morias Schulter. »Ich habe Plitovit von seiner Mutter erzählt«, sagte sie leise.
    »Von Cythia? Wie meinst du das?«
    »Er hat es nicht gewußt. Tante Cythia hat es ihm nie gesagt. Und Hairox bis zu seinem Tod natürlich auch nicht. Es ist ja nicht gerade ruhmvoll für ihn gewesen!«
    Moria schob Ria von sich und sah sie unruhig an. Eine Ahnung stieg in ihr auf, aber sie konnte und wollte nicht glauben. »Du hast doch nicht etwa ...«
    »Doch. Ich habe ihm erzählt, was ich von dir wußte: Wie seine Mutter als junges Mädchen ahnungslos und unschuldig
    in den Wald gegangen ist. Wie ein Wolfskrieger über sie hergefallen und sie vergewaltigt hat. Und wie ihr Vater diesen Wolfskrieger gezwungen hat, sie zu heiraten.
    Plitovit hat seine Mutter geliebt und verehrt. Er ist rasend geworden, als er das gehört hat, er war vollkommen außer sich. Mir wurde himmelangst, obwohl es nicht gegen mich ging. Er hat so gewütet, daß fast mein ganzer Hausstand zu Bruch gegangen ist.
    Die Bänke und Wandborde hat er zertrümmert, zum Glück hat er wenigstens meinen Webstuhl verschont, aber alles Geschirr mußte ich neu töpfern lassen. Ich bin sicher, er hätte seinen Vater umgebracht, wenn der noch am Leben gewesen wäre.«
    »Aber warum? Warum hast du ihm das angetan?« »Begreifst du denn nicht? Ich bin dabei doch deinem Beispiel gefolgt!«
    Moria schüttelte benommen den Kopf. Cythia hätte nicht gewollt, daß ihre Kinder davon erführen. Sie hätte es Ria niemals erzählen dürfen. Und hatte die Tochter doch nur warnen wollen.
    »Als er alles kurz und klein geschlagen hatte, was ihm unter die Finger gekommen war, hat Plitovit geweint.« Ria stockte, fügte leise hinzu: »Für diese Tränen liebe ich ihn.«
    Moria nickte.
    »Und dann, Mutter, habe ich getan, was ich mir zurecht gelegt hatte. Ich habe angefangen seinen Vater zu entschuldigen. Ich habe Plitovit erzählt, daß die Vergewaltigung seiner Mutter ein Versehen war. Weil sein Vater sie mit einem Bauernmädchen verwechselt hatte. Ich habe darüber gesprochen, wie leicht so eine Verwechslung geschehen kann. Wie hilflos unsere jungen Mädchen dem ausgeliefert sind, zumal die Bauernmädchen mehr und mehr dazu übergehen, die Haare so zu tragen wie wir und sich zu kleiden wie wir. Daß Cythias Schicksal auch mich hätte treffen können. Daß es einst unsere Töchter treffen kann ...«
    Da auf einmal verstand Moria. »Heilige Göttin«, flüsterte sie ergriffen.
    »Die Schlußfolgerung mußte ich ihm nicht sagen. Er stand plötzlich auf und reckte die Schultern. Du hättest ihn sehen sollen! Er war wie ein zorniger junger Gott. Und dann hat er mir erklärt, daß diese Gefahr nur auf einem einzigen Weg zu bannen sei: wenn man dafür sorge, daß bei uns in Zukunft auch keinen Bäuerinnen und Bauernmädchen mehr Gewalt angetan werde. Wenn die Wolfskrieger sich nicht mehr einbildeten, sich der Mädchen und Frauen aus dem Alten Volk einfach bedienen und sie danach wegwerfen zu können –wenn man ihnen im Gegenteil klarmache, was das sei: eine Schande und ein Unrecht, die zum Himmel schreien. Wenn man solche Vergewaltigungen mit einer strengen Buße belege. Jeden Wolfskrieger dafür zur Verantwortung ziehe.«
    »Das hat er gesagt – der Sohn von Hairox?« fragte Moria und fügte wie eine Antwort hinzu: »Der Sohn von Cythia.«
    »Ja«, stimmte Ria zu, »der Sohn von Cythia. Plitovit meint, wenn die Buße hoch genug sei – vielleicht ein paar Kühe oder gar ein Pferd –, werde sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Und wenn er anrege, daß diese Buße dem jeweiligen Herrn zugesprochen werde, zu dessen Herrschaft die Frau oder das Mädchen gehöre, so werde er im Königsrat Zustimmung für seinen Vorschlag finden. Er hat geschworen, daß er nicht ruhen wird, bis er dies erreicht hat.
    Ich weiß, er hält seinen Schwur.«
    »Meine Tochter!« sagte Moria. »Was du da in Gang gesetzt hast! Endlich wird es ein Ende nehmen mit der Gewalt, die den Mädchen und Frauen des Alten Volkes angetan wird!« Sie brach ab, dachte an Naki, fügte in Gedanken hinzu: Zumindest für die Mädchen, die sich ein Herr nicht zur Nebenfrau nimmt, ohne sie zu fragen. Aber wer fragt
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