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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein
Autoren: Gabriele Beyerlein
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eine Zeit, da hatten die Jungen nur das eine Ziel: so zu sein wie die Alten. Den Weg weiterzugehen. Den Faden aufzugreifen und weiterzureichen, den die Alten ihnen von den Ahnen zureichten.
    Es gab eine Zeit, da waren wir daheim.
    Ich hatte eine Tochter, von der ich manchmal glaubte, sie könne die Zukunft sehen.
    Ich hoffe, sie konnte es nicht.
    Aber diese Tochter hier, die ist stark genug, die Zukunft zu leben. Eine andere Zukunft, als ich es für sie wollte. Ihre eigene Zukunft.
    War es kleinmütig von Zirrkan und mir, das Heil nur in der alten Ordnung zu sehen? Als sei die Göttin nicht größer als jede noch so heilige Ordnung. Als sei Sie nicht die VielVielgestaltige, mit den vielen Namen und Wesenheiten.
    Das Wasser des Lebens, es bleibt nicht stehen, es fließt. »Mutter«, fragte Gilai und trat hinter sie, »erlaubst du mir denn nun, Schroko zu heiraten?«
    Haibe wandte sich um. »Wenn ich es dir verbiete – hältst du dich denn daran, auch nach meinem Tod?«
    Gilai wurde rot. »Nein«, sagte sie.
    Haibe lächelte. »Was fragst du mich dann?«
     

Epilog
    Ich bin zurückgekehrt.
    Hier steht es, das Grab. Unverrückt, für die Ewigkeit errichtet, uns ein Mahnmal und Rätsel.
    Hier ließ sie sich einsperrn bei den Müttern und Ahnen. Oder war dies das Grab, das die Leichen der Erschlagnen kaum faßte? Knochen vergehen im sandigen Boden.
    Die Spur ist verweht.
    Ich lehne meine Stirn an den Stein. Er ist stumm und kalt.
    War es so? War alles ganz anders?
    Nur eins ist mir sicher: Das Schwert siegte über den Kelch, noch ehe uns das erste seinesgleichen geschmiedet war.
    Für alle Zeit?

Nachwort
    Woher rührt in Europa die Unterdrückung von Frauen? Daß sie in fast allen Gegenden Europas über die letzten Jahrtausende eine Tatsache war, läßt sich an unzähligen Beispielen belegen. Und doch: Frauen waren in den meisten europäischen Epochen und Kulturen nicht
nur
unterdrückt oder benachteiligt, und trotz aller männlichen Dominanz und Gewalt waren zumindest einige Frauen immer auch stark, erfolg- und einflußreich. Wie paßt das zusammen, wie ist es zu verstehen?
    Auf eine denkbare Antwort auf Fragen stieß ich durch das umfangreiche Werk der Archäologin Marija Gimbutas [1]   und ihre These, in Europa habe unter der Oberfläche der herrschenden Weltsicht der siegreichen patriarchal-kriegerischen Indoeuropäer mit ihrem Götterhimmel eine ganz entgegengesetzte ältere Tradition weitergelebt: die eines weiblicher geprägten, matrilinearen und friedlicheren »Alten Europas« mit seiner erdverbundenen Göttin.
    Der Prozeß der Indoeuropäisierung Europas ist vor allem sprachwissenschaftlich erschlossen. Archäologisch läßt er sich schwer nachweisen. Gimbutas geht davon aus, daß die Indoeuropäisierung in mehreren Wellen durch Invasion aus dem Osten stattfand und vor dem Ende des 3. Jahrtausends vor Christus abgeschlossen war. Ob ihre Theorie haltbar ist, darüber mag die Wissenschaft sich streiten. Für mich wurde Gimbutas' eigentlich als »feministisch orientiert« bezeichneter großer Entwurf einer Deutung europäisch-vorgeschichtlicher Gesamtzusammenhänge zum Ausgangspunkt meiner Geschichte, ohne daß ich ihrer Sichtweise in allen Einzelheiten gefolgt wäre.
    Ich habe die Handlung im 3. Jahrtausend vor Christus in der norddeutschen Tiefebene angesiedelt, zu der Zeit, als die von den Archäologen so genannte megalithische »Trichterbecherkultur« unterging, von der allein in Niedersachsen mehr als 1000 Großsteingräber bekannt sind. Abgelöst wurde sie von einer Kultur, die in der Archäologie unter den Namen »Streitaxtkultur«, »Einzelgrabkultur« oder »Schnurkeramik« bekannt ist, was auch bereits die auffallendsten Merkmale dieser neuen Kultur beschreibt. Wurden die vielfach in Einzelgräbern jener Epoche gefundenen Streitäxte tatsächlich von indoeuropäischen Kriegern geführt? Sicherheit darüber gibt es nicht. Doch wo strenge Wissenschaft an ihre Grenzen stößt, können Empathie und Imagination traumwandelnd weiter gehen.
    Archäologische Funde und sprachwissenschaftliche Schlußfolgerungen, soziologische Theorien und psychologische Denkweisen, Blickwinkel der Frauenforschung, religionsgeschichtliche Interpretationen und älteste indoeuropäische Gesetzestexte und Heldenmythen miteinander verdichtend und zu meinem eigenen Bild komprimierend, habe ich mich zurückversetzt in jenen hypothetischen, abstrahierten und vielleicht nie dagewesenen Augenblick, indem alles begann, in dem die
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