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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein
Autoren: Gabriele Beyerlein
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gesprochen. Es macht ihm nichts aus, sagt er. Er will nicht hierbleiben. Er will nicht heiraten. Er hat sowieso anderes vor.«
    »So. Hat er das.«
    »Ja. Ri-Wirrkon meint, er sei nicht dazu geboren, hier zu sitzen und abzuwarten, ob es den Söhnen des Himmels eines Tages auch nach diesem Land hier gelüste. Er will dafür sorgen, daß wir bereit sind, falls sie kommen. Er will Beziehungen knüpfen und darauf hinwirken, daß wir Neueingewanderten uns endlich eng mit den Einheimischen verknüpfen, daß wir wie Brüder und Schwestern miteinander leben und füreinander eintreten, und er will Erkundigungen einziehen, Vorkehrungen treffen, eine Art regelmäßige Beratung eines kleinen Kreises von Männern aus den verschiedenen Gegenden ins Leben rufen. Mit möglichst vielen Sippenältesten will er darüber beraten, ob es angezeigt sei, für alle Jungen und Männer eine Ausbildung im Gebrauch der Waffen anzustreben ...«
    Hat es denn nie ein Ende.
    Ich habe kein Recht, mich darüber zu erheben. Ich habe Ritgo angefleht, die Frauen zu befreien, und sei es mit Gewalt. Ich habe ihn angefleht, Lykos zu töten.
    Auch ich wußte keinen anderen Weg.
    Ritgo – lebst du in Ri-Wirrkon weiter? Ich habe es mir schon oft gedacht, wenn ich seine Stärke und seinen Mut bemerkte.
    Aber er ist wilder, als du es je warst. Verwegener. Und härter.
    Ach Ritgo, ihm hat ein Großer Oheim gefehlt, wie du einer gewesen bist, vor dem Krieg, als du meine Söhne erzogen hast.
    Und wir haben einmal geglaubt, Gilai und Ri-Wirrkon seien der Neuanfang der heiligen Ordnung, in ihnen würde alles wieder so, wie es war und wie wir es uns erträumt hatten!
    Sand in den Augen ...
    Gilai streckte die Hand aus. »Es tut mir leid, Mutter. Für dich.«
    »Für mich?« Haibe löste sich von der Hauswand und richtete sich auf. »Das muß es nicht! Hier geht es um mehr. Um dich. Um Ri-Wirrkon. Um die heilige Ordnung.«
    »Um die heilige Ordnung!« sagte Gilai heftig. »Weißt du, daß ich das bald nicht mehr hören kann?! Alles beim alten lassen! Nur ja nicht die Haare anders tragen, keine anderen Muster in die Kleider weben, die Häuser nicht niedriger bauen, die Sprache der Menschen hier nicht lernen, deren Tänze nicht tanzen, keinen von ihnen heiraten, nur ja wir selbst bleiben!
    Dabei ist es doch die gleiche Göttin, zu der wir alle beten, wo ist da der Unterschied! Es kommt doch nicht darauf an, in welcher Sprache und mit welchen Tänzen und Liedern wir Sie ehren, nicht darauf, ob unsere Männer nur bei Nacht oder auch bei Tag in unseren Häusern wohnen, sondern darauf, daß Sie durch und durch unser Leben ist!«
    Gilai brach ab. Machte eine Pause. Und fragte dann leise, vorsichtig: »Bist du jetzt von mir entsetzt?«
    »Ach Kind, mich entsetzt du nicht so leicht. Dafür bin ich schon zu alt.
    Wir haben die heilige Ordnung verloren, während wir sie zu erhalten gedachten. Deshalb willst du nichts mehr von ihr hören.«
    Haibe stockte, verbot sich weiterzusprechen, behielt die Worte für sich, die der Tochter nicht helfen konnten, nur ihr Leben beschweren: Die Söhne des Himmels haben mehr zerstört, als wir wahrhaben wollten, auch bei uns, die wir vor ihnen geflohen sind.
    Wir konnten ihnen entkommen. Aber in unseren Alpträumen sind sie wieder da, Nacht für Nacht. Und nichts wird mehr sein, wie es war.
    Ri-Wirrkon hat recht: Zirrkan wollte es nicht sehen. Aber im Tod hat er es doch erkennen müssen, und ich mit ihm: Der Arm der himmlischen Götter reicht weit.
    Und was ist das für ein Arm! Sie setzen den Tod über das Leben. Und die Männer über die Frauen.
    Ich fürchte, sie werden die ganze Welt erobern, diese Himmlischen.
    Sie sind sehr mächtig, die Götter der Mächtigen.
    Aber solange es Menschen wie Gilai gibt, in denen die Liebe zur Göttin jung und lebendig bleibt, auch wenn sie alte Formen wegwerfen, so lange werden sie nicht restlos siegen, die fremden Götter. So lange kann es ihnen nicht gelingen, die Göttin zu töten. Es kann ihnen höchstens gelingen, Sie vom Licht zu vertreiben.
    Doch hat Sie nicht schon immer das Dunkel geliebt? »Mutter?« fragte Gilai leise.
    Haibe nickte. »Du hast recht, Gilai: Es kommt nicht darauf an, auf welche Art wir die Göttin ehren, sondern darauf, daß Sie unser Leben ist – und jeder Atemzug uns mit Ihr verbverbindet.«
    Haibe stand auf, ging zum See hinunter.
    Sollte ich mehr sagen?
    Nein.
    Sie wird selbst ihre Antworten finden.
    Es gab eine Zeit, da wußte man, was richtig war und was falsch.
    Es gab
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