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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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uns.
    »Was ich mich immer gefragt habe …« Buddy stellte seine Tasse mit einem verlegenen Klirren auf die Untertasse.
    »Was hast du dich immer gefragt?«
    »Ich habe mich gefragt … ich meine, ich dachte, du könntest mir vielleicht etwas erklären.« Unsere Blicke trafen sich, und nun erst erkannte ich, wie sehr sich Buddy verändert hatte. An die Stelle des alten, selbstsicheren Lächelns, das so leicht und oft aufgeleuchtet war wie das Blitzlicht eines Fotografen, war ein ernstes, sogar zauderndes Gesicht getreten – das Gesicht eines Mannes, der oft nicht bekommt, was er will.
    »Wenn ich kann, erkläre ich es dir, Buddy.«
    »Glaubst du, an mir ist etwas, das Frauen verrückt macht?«
    Ich konnte nicht anders, ich brach in Gelächter aus – vielleicht wegen Buddys ernster Miene oder wegen der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes »verrückt« in einem Satz wie diesem.
    »Ich meine«, bohrte Buddy weiter, »ich war mit Joan befreundet und dann mit dir, und zuerst wurdest du …, und dann Joan …«
    Mit spitzem Finger schob ich einen Kuchenkrümel in einen Tropfen nassen, braunen Tee.
    »Sie haben das selbstverständlich nicht getan!« hörte ich Mrs. Nolan sagen. Ich war wegen Joan zu ihr gekommen, und soweit ich mich erinnern konnte, hatte ihre Stimme nur bei diesem einen Mal zornig geklungen. »Niemand hat es getan! Sie hat es getan!« Und dann sagte mir Mrs. Nolan, auch die besten Psychiater hätten Selbstmorde unter ihren Patienten, und wenn überhaupt, dann müßte man doch wohl die Psychiater verantwortlich machen, die hingegen würden sich durchaus nicht für verantwortlich halten …
    »Mit dir hatte das nichts zu tun, Buddy.«
    »Bist du sicher?«
    »Absolut.«
    »Na«, seufzte Buddy, »da bin ich aber froh.«
    Und er schlürfte seinen Tee wie eine stärkende Arznei.
    »Ich habe gehört, du verläßt uns.«
    Ich paßte mich dem Schritt von Valerie an, die unter der Aufsicht einer Schwester mit einer kleinen Gruppe draußen war. »Nur wenn die Ärzte ja sagen. Morgen habe ich mein Gespräch.«
    Der festgetretene Schnee knirschte unter unseren Füßen, und überall hörte ich ein musikalisches Tröpfeln und Plätschern, solange die Mittagssonne Eiszapfen und Schneekrusten tauen ließ, die vor Einbruch der Dunkelheit wieder gefrieren würden. Die Schatten der dicht an dicht stehenden dunklen Kiefern waren in diesem hellen Licht lavendelfarben, und ich spazierte eine Zeitlang neben Valerie im vertrauten Labyrinth der freigeschaufelten Anstaltswege umher. Die Ärzte, Schwestern und Patienten auf den benachbarten Wegen, von den Schneehaufen bis zur Hüfte verdeckt, bewegten sich wie auf Rollen.
    »Gespräche!« schnaubte Valerie. »Das heißt doch nichts! Wenn sie dich gehen lassen wollen, lassen sie dich gehen.«
    »Hoffentlich.«
    Vor Caplan verabschiedete ich mich von Valeries stillem Schneemädchengesicht, hinter dem im Guten wie im Bösen so wenig geschehen konnte. Ich ging allein weiter, und auch in dieser sonnendurchfluteten Luft hing mein Atem in weißen Wölkchen vor mir. Valerie hatte mir zuletzt noch fröhlich nachgerufen: »Bis dann! Wir sehen uns!«
    »Nicht, wenn es nach mir geht«, hatte ich gedacht.
    Aber ich war mir nicht sicher. Ich war mir ganz und gar nicht sicher. Woher sollte ich wissen, ob sich nicht eines Tages – im College, in Europa, irgendwo, überall – die Glasglocke mit ihren erstickenden, lähmenden Verzerrungen wieder über mich senken würde?
    Und hatte Buddy, als wollte er sich dafür rächen, daß ich ihm den Wagen ausgegraben hatte, während er danebenstehen mußte, nicht gesagt: »Ich möchte wissen, wen du jetzt heiraten willst, Esther«?
    »Was ist los?« hatte ich gefragt und in das Flockengestöber geblinzelt, das mir von einer Schaufel, die ich gerade hoch auf den Schneehaufen gehoben hatte, ins Gesicht zurückwehte.
    »Ich möchte wissen, wen du jetzt heiraten willst, Esther. Jetzt, wo du« – Buddys Geste umfaßte den Berg, die Kiefern und die strengen, schneebedeckten Giebel der Gebäude, die das Gewoge der Landschaft unterbrachen – »hier gewesen bist.«
    Und natürlich wußte auch ich nicht, wer mich heiraten würde, nachdem ich gewesen war, wo ich gewesen war. Ich wußte es wirklich nicht.
    »Irwin, ich habe hier eine Rechnung.«
    Ich sprach ruhig in die Muschel des Münztelefons im Eingang der Anstaltsverwaltung. Zuerst hatte ich den Verdacht, die Telefonistin an ihrem Schaltbrett würde mithören, aber sie stöpselte weiter mit ihren kleinen
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