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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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hielt, das vom Badezimmer hereinfiel, sahen die Fingerspitzen aus, als wären sie schwarz.
    »Irwin«, sagte ich nervös, »bring mir ein Handtuch.«
    Irwin kam herüber, ein Badetuch um die Hüfte geschlungen, und warf mir ein zweites, kleineres Handtuch zu. Ich schob es zwischen meine Beine und nahm es gleich darauf wieder hoch. Es war halb schwarz von Blut.
    »Ich blute!« verkündete ich und setzte mich mit einem Ruck auf.
    »Ach, das passiert oft«, beruhigte mich Irwin. »Das geht gleich vorbei.«
    Mir fielen die Geschichten von blutbefleckten Brautbetttüchern und Kapseln mit roter Tinte für schon deflorierte Bräute ein. Ich fragte mich, wieviel ich bluten würde, wie lange ich daliegen und das Handtuch tränken würde. Ich dachte, das Blut sei meine Antwort. Nun konnte ich eigentlich keine Jungfrau mehr sein. Ich lächelte in die Dunkelheit. Ich hatte das Gefühl, in einer großen Tradition zu stehen.
    Verstohlen drückte ich eine frische Ecke des weißen Handtuchs an meine Wunde und überlegte mir, daß ich, sobald die Blutung aufgehört hatte, die letzte Bahn zurück in die Anstalt nehmen würde. Ich wollte in aller Ruhe über meinen neuen Zustand nachdenken. Aber das Handtuch war wieder schwarz und triefend.
    »Ich … glaube, ich fahre lieber nach Hause«, sagte ich leise.
    »Nicht so hastig.«
    »Doch, ich glaube, es ist besser.«
    Ich fragte Irwin, ob ich sein Handtuch ausleihen dürfte, und stopfte es mir wie eine Bandage zwischen die Schenkel. Dann zog ich meine verschwitzten Kleider über. Irwin bot an, mich nach Hause zu fahren, aber ich wußte nicht, wie ich mich von ihm in die Anstalt hätte fahren lassen sollen, deshalb suchte ich in meinem Notizbuch nach der Adresse von Joan. Irwin kannte die Straße und ging hinaus, um den Wagen anzulassen. Vor lauter Angst sagte ich ihm nicht, daß ich noch blutete. Ich hoffte noch immer, es würde jeden Moment aufhören.
    Aber während Irwin mich durch die einsamen, von Schneehaufen gesäumten Straßen fuhr, spürte ich, wie das warme Gesicker den Damm aus Handtuch und Rock durchdrang und auf den Autositz lief.
    Als wir, langsamer werdend, zwischen den erleuchteten Häusern dahinglitten, fiel mir ein, was für ein Glück ich gehabt hatte, indem ich mich meiner Jungfräulichkeit nicht im College oder zu Hause entledigt hatte, wo eine solche Geheimhaltung nicht möglich gewesen wäre.
    Joan öffnete die Tür mit einem Ausdruck freudiger Überraschung. Irwin küßte mir die Hand und sagte zu Joan, sie solle gut auf mich achtgeben.
    Ich lehnte mich zurück an die Tür, die ich eben geschlossen hatte, und spürte, wie mir mit einem Schlag alles Blut aus dem Gesicht wich.
    »Aber, Esther«, sagte Joan, »was ist denn los?«
    Ich fragte mich, wann Joan das Blut bemerken würde, das mir an den Beinen herunterlief und klebrig in die beiden schwarzen Lackschuhe sickerte. Ich dachte, ich könnte an einer Schußwunde sterben, und Joan würde noch immer mit leeren Augen durch mich hindurchstarren und erwarten, daß ich nach einer Tasse Kaffee und einem Sandwich fragte.
    »Ist diese Krankenschwester hier?«
    »Nein, sie hat Nachtdienst in Caplan …«
    »Gut.« Ich verzog das Gesicht zu einem kleinen bitteren Grinsen, während ein weiterer Blutschwall durch das triefende Polster lief und sich auf den langen Weg zu meinen Schuhen machte. »Ich wollte sagen … schlecht.«
    »Du siehst so komisch aus«, sagte Joan.
    »Ruf lieber einen Arzt!«
    »Warum?«
    »Mach schon.«
    »Aber …«
    Sie hatte noch immer nichts bemerkt.
    Ich bückte mich mit einem kurzen Stöhnen und streifte einen meiner im Winter rissig gewordenen schwarzen Bloomingdale-Schuhe ab. Ich hob den Schuh, hielt ihn vor Joans weit aufgerissene Kieselaugen, neigte ihn zur Seite und sah zu, wie sie den Blutstrom bestaunte, der sich aus der Höhe auf den beigen Teppich ergoß.
    »Mein Gott! Was ist das?«
    »Eine Blutung.«
    Joan führte oder zerrte mich zum Sofa, und ich legte mich hin. Sie schob mir ein paar Kissen unter die blutbefleckten Füße, trat dann zurück und fragte: »Wer war dieser Mann?«
    Einen verrückten Moment lang glaubte ich, Joan werde sich weigern, einen Arzt zu rufen, solange ich ihr nicht die ganze Geschichte meines Abends mit Irwin gebeichtet hatte, und nach meiner Beichte werde sie sich, wie zur Strafe, immer noch weigern. Aber dann wurde mir klar, daß sie alles, was ich sagte, für bare Münze nahm, daß sie gar nicht auf den Gedanken gekommen war, ich könnte mit Irwin ins Bett
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