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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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Greenwood kennt den Zweck nicht, zu dem sie das Mittel benutzt. Sie formuliert ihn nicht, sie ahnt ihn nur. Und wie sich diese Allianz der Sinnlosigkeit unmerklich langsam zur Depression auswächst und das Bild zu beherrschen beginnt, ist meisterhaft dargestellt. Das ihr immer mehr zur Zumutung verkommende Leben sieht ihr lange keiner an, nicht einmal sie selbst. Reflexhaft reagiert sie mit einer unablässigen und immer verzweifelteren Suche auf ihre Sucht nach Leben, dem einfachen, ohne doppelten Boden, das ihr wieder, wieder und wieder als Überforderung begegnet. Vorstellungen beherrschen sie, wie sie widersprüchlicher nicht sein könnten: einerseits die Hölle, in der es keine direkte Berührung mehr gibt (eine Glasglocke verhindert dies), andererseits die nie versiegende Hoffnung, dass das Leben auch anders sein könnte, unbedingt zu sein hätte, um lebenswert zu sein.
    Esther Greenwood ist ein merkwürdiges Mädchen, eines, das sich mit derselben Energie, mit der sie ihre (widersprüchlichen) Lebenspläne zu verwirklichen sucht, dagegen wehrt, die eigene Essenz aufzugeben. Die Aussicht, durch Fleiß, harte Arbeit und etwas Glück vielleicht viel, viel später (das ist das Tragische daran) eine Art Leben zu führen, in dem sie dieser körperlich-geistigen Essenz möglicherweise ein Existenz-Eckchen einrichtenkönnte, ist ihr keinesfalls genug. Sie will das Beste für sich. Und das heißt: das Leben pur. Das natürlich auch aus der Jagd nach braungebrannten, gutgebauten Jungs und gesellschaftlichen Erfolgen besteht. Bemüht, diese Welt mit links zu meistern, um Zeit und ein Alibi dafür zu haben, sich etwas viel Größerem zu widmen: dem Versuch, sich ihres eigenen, innersten Wesens bewusst zu werden, es (sich) in vollem Umfang zu bewahren – und zwar schreibend.
    Der Versuch einen Roman zu verfassen, führt zu folgender, ernüchternder Erfahrung: Sie behauptet, sie könne nicht schreiben, und begründet dies damit, in ihrem kurzen Leben einfach nicht genug Erfahrungen gemacht zu haben. (Eine Vorstellung, die wahrscheinlich keiner Schreibenden fremd ist). Also stürzt sie sich wieder hinein – in dieses Leben, diesen Schmerz. Und so entsteht der Eindruck, sie sei süchtig nach Leben. Süchtig also nach dem, was sie verletzt. Nur deshalb ist ihr der Tod so nah.
    Esthers Blick, dem die Autorin mit ihrer kristallisierenden Sprache folgt, ist eine Anmaßung und als solche eine Zumutung für die Umwelt. Überspannt, widersprüchlich, unverschämt, neugierig. Davon hat der Text seit seiner Entstehung kein bisschen eingebüßt. Deshalb auch schärft er unsere Wahrnehmung unserer Zeit, in der Kinder ja quasi schon mit einer Startnummer zur Welt kommen und das Ich seinen Sinn nur noch im »besser als . . .« begreift, in der Maß und Masse verschwimmen und Vermassung sich auf IMMER MEHR Lebensbereiche ausdehnt, bis dass wir es bei Michel Houllebecq auf ein Neues nachlesen können.
    Warum, frage ich mich, ist dieses Buch nicht längst schulische Pflichtlektüre geworden? Weil Schüler nicht mehr lesen? Ja. Ja. Alter Hut. Ich weiß. Aber vielleicht läsen sie ja wieder, wenn . . . Vielleicht, und das ist die andere beschreibenswerte Variante, ist die Wirklichkeit aber bereits dermaßen unzumutbar, weil unveränderbar geworden für uns, dass wir tatsächlich nur noch in die virtuellen, auch nicht gerade kostenlosen Wunsch-Welten flüchten können?
    Wenn ich die Zeit mitlese, die seit der Entstehung des Romans und der darin beschriebenen Zeit und meinem Jetzt vergangen ist, stelle ich fest, dieses Buch wurde am Punkt einer Entwicklung von »Vermassung« geschrieben, von der unser Heute über fünfzig Jahre entfernt ist. Was wir uns heute zumuten, war also damals schon mehr oder weniger deutlich.
    Inzwischen ist die Depression zur Volkskrankheit avanciert, ohne dass wir wissen – noch immer nicht wissen –, wie wir sie behandeln sollen. Generationen von Psychopharmaka haben ihre Siegeszüge angetreten, die Elektrotherapie feiert, angemessen maskiert, eine neue Renaissance. Und kennzeichnend ist, dass wir nicht mehr versuchen, Krankheit zu vermeiden, sondern darauf aus sind, das jeweils dafür richtige Medikament auf den Markt zu werfen. So weit die äußeren Umstände.
    Sylvia Plath aber, und das ist das Aktuelle an diesem Buch, hat die Aktualität ihrer Zeit, ohne zu wissen, wohin sie führen würde, mit notiert. Die Sprache der Katastrophen des Lebens beginnt zu sprechen. Dieses Sprechen wiederum übersetzt sich in das
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