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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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Partys wieder zum Hotel oder zur Arbeit. Ich hätte vermutlich begeistert sein sollen, wie die meisten anderen Mädchen,aber es gelang mir nicht. Ich war ganz still und leer, so wie sich das Auge eines Wirbelsturms vorkommen muß, das inmitten von Trubel und Getöse träge seines Weges zieht.
    Wir waren zu zwölft in dem Hotel.
    Wir hatten bei dem Wettbewerb einer Modezeitschrift gewonnen, mit selbstgeschriebenen Aufsätzen und Geschichten und Gedichten und Werbekram, und als Preis bekam jede von uns für einen Monat einen Job in New York mit kostenlosem Aufenthalt und allen möglichen Extras, Ballettkarten und Eintrittskarten für Modenschauen, Gutscheine für einen bekannten, teuren Friseursalon, Begegnungen mit erfolgreichen Leuten aus der Branche, nach der wir uns sehnten, und Ratschläge zur Pflege unseres individuellen Teints.
    Ich besitze das Make-up-Set noch, das sie mir damals schenkten, eigens zusammengestellt für jemanden mit braunen Augen und braunem Haar: ein Rechteck brauner Mascara mit einer winzigen Bürste, ein Näpfchen mit blauem Lidschatten, gerade groß genug, mit der Fingerspitze hineinzutupfen, und drei Lippenstifte von Rot bis Pink, alles untergebracht in einem vergoldeten Kästchen mit einem Spiegel an der Seite. Ich besitze auch noch ein weißes Sonnenbrillenetui aus Plastik, auf das bunte Muscheln und Münzen und ein grüner Plastikseestern aufgenäht sind.
    Mir war klar, daß wir mit diesen Dingen nur überhäuft wurden, weil sie für die beteiligten Firmen kostenlose Reklame waren, aber lustig machen konnte ich mich über sie trotzdem nicht. Die Geschenke, die da auf uns niedergingen, machten mir nämlich einen Riesenspaß. Nachher habe ich sie lange weggeschlossen, aber später, als es mir wieder besser ging, habe ich sie hervorgeholt. Sie liegen noch heute irgendwo im Haus herum. Die Lippenstifte benutze ich hin und wieder, und letzte Woche habe ich den Plastikseestern von dem Sonnenbrillenetui abgetrennt und dem Baby zum Spielen gegeben.
    Wir waren also zu zwölft im Hotel, auf demselben Flur, auf demselben Stockwerk, in nebeneinanderliegenden Einzelzimmern – ich fühlte mich an mein Wohnheim im College erinnert. Es war kein richtiges Hotel – ich meine, kein Hotel, in dem Frauen und Männer manchmal auf demselben Stockwerk wohnen.
    Dieses Hotel – das Amazon – war nur für Frauen, zum größten Teil Mädchen in meinem Alter mit reichen Eltern, die sichergehen wollten, daß ihre Töchter so untergebracht waren, daß Männer ihnen nicht zu nahe kommen und sie nicht aufs Glatteis führen konnten; und alle diese Mädchen gingen auf todschicke Sekretärinnenschulen wie »Katy Gibbs«, wo sie im Unterricht Hüte und Seidenstrümpfe und Handschuhe tragen mußten; oder sie hatten ihre Prüfung bei »Katy Gibbs« oder anderswo gerade hinter sich und arbeiteten nun als Sekretärinnen für höhere Angestellte oder Juniorchefs, oder sie hingen einfach in New York herum und warteten darauf, daß irgendein Karrieremann sie heiratete.
    Diese Mädchen machten auf mich einen schrecklich gelangweilten Eindruck. Ich sah sie auf dem Sonnendach, wie sie sich gähnend die Fingernägel lackierten und ihre Bermudabräune aufzufrischen versuchten und wie sie sich dabei anscheinend tödlich langweilten. Mit einer von ihnen unterhielt ich mich, sie fand alles langweilig – Yachten und Flugzeugfliegen, Skifahren über Weihnachten in der Schweiz, und die Männer in Brasilien ebenfalls.
    Solche Mädchen machen mich krank. Ich bringe keinen Ton heraus vor lauter Neid. Neunzehn Jahre, und kein einziges Mal war ich aus Neuengland herausgekommen, außer zu diesem Ausflug nach New York. Er war meine erste große Chance, und nun saß ich hier herum und ließ mir diese Chance wie Wasser durch die Finger rinnen.
    Ich glaube, eines meiner Probleme war Doreen.
    Einem Mädchen wie Doreen war ich noch nie begegnet. Siekam von einem College für höhere Töchter im Süden und hatte weißblondes Haar, das ihr wie Zuckerwatte um den Kopf stand, blaue Augen wie durchscheinende Achatmurmeln, hart und glänzend und genauso unzerbrechlich, und einen Mund, der zu einer Art von immerwährendem Grinsen verzogen war. Es war kein boshaftes Grinsen, sondern ein belustigtes, rätselhaftes Grinsen, als wären alle Leute um sie her ziemlich albern und als könnte sie, wenn ihr danach wäre, ein paar gute Witze auf ihre Kosten reißen.
    Doreen hängte sich sofort an mich. Sie gab mir das Gefühl, ich sei viel schlauer als die anderen,
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