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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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Innerste. Das körperliche Erleben wird für Plath, alias Esther Greenberg, zu einem Maßstab. Nur so konnte sie ahnen, wohin die Entwicklung (sie) führen würde. Das ist gemeint, wenn man Die Glasglocke nach Autobiographischem befragt.
    Als das Buch erschien, war es seiner Zeit voraus und die Autorin bereits vier Wochen später tot. Später wurde sie von der sich formierenden Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre zur Ikone ernannt. Im Moment aber, da die Medien die Überwindung bestimmter Bewegungen diskutieren lassen, werden auch die mit ihnen identifizierten Texte als überwunden abgeschrieben. Sie existieren dann nur noch als Hüllen ihrer Zeit, als Kulturgüter. In meiner Bibliothek jedoch steht Die Glasglocke kraftvoll wie ein Fels unter ihrer eigenen, ungeheuerlich tosenden, jederzeit lichtschäumenden, wie ein offenes Buch lesbaren Brandung.
    Januar 2013

Eins
    Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wußte, was ich in New York eigentlich wollte. Bei dem Gedanken an Hinrichtungen wird mir immer ganz anders. Die Vorstellung, auf den elektrischen Stuhl zu kommen, macht mich krank, aber in den Zeitungen war von nichts anderem die Rede – glotzäugige Überschriften, die mich an jeder Straßenecke und an jedem muffigen, nach Erdnüssen riechenden U-Bahn-Schlund anstarrten. Es hatte nichts mit mir zu tun, und trotzdem ließ mich die Frage nicht los, wie es wäre, die Nerven entlang bei lebendigem Leib zu verbrennen.
    Ich dachte, es muß das Schlimmste auf der Welt sein.
    Dabei war New York schon schlimm genug. Um neun Uhr morgens hatte sich die trügerische, ländlich feuchte Kühle, die nachts irgendwie hereingesickert war, verflüchtigt wie das Ende eines angenehmen Traums. Tief unten in ihren Granitcanyons zitterten die heißen Straßen unter der Sonne wie graue Luftspiegelungen, die Dächer der Autos glühten und glitzerten, und trockener Staub wehte mir wie Asche in Augen und Rachen.
    Im Radio und in der Redaktion – überall war von den Rosenbergs die Rede, bis ich an nichts anderes mehr denken konnte. Es war wie damals, als ich zum erstenmal eine Leiche sah. Noch wochenlang tauchte der Kopf dieser Leiche – oder vielmehr das, was von ihm übriggeblieben war – beim Frühstück hinter den Spiegeleiern mit Schinken auf oder hinter dem Gesicht von Buddy Willard, der schuld daran war, daß ich die Leiche überhaupt gesehen hatte, und bald hatte ich das Gefühl, ich würde diesen Kopf an einer Schnur überall mit mir herumtragen, wie einen schwarzen, nach Essig stinkenden Ballon ohne Nase.
    Ich wußte, irgend etwas stimmte in diesem Sommer nicht mit mir, denn andauernd mußte ich an die Rosenbergs denken und daran, wie dumm es von mir gewesen war, all die unbequemen, teuren Kleider zu kaufen, die jetzt wie schlaffe Fische in meinem Schrank hingen, und daran, wie all die kleinen Erfolge, die ich auf dem College eingeheimst hatte, an den Marmor-und Spiegelglasfassaden der Madison Avenue abprallten und zerstoben.
    Angeblich erlebte ich gerade die schönste Zeit meines Lebens.
    Angeblich waren Tausende anderer Collegemädchen in ganz Amerika neidisch auf mich und wollten nichts lieber als in diesen Lackschuhen Größe 39 herumtrippeln, die ich mir in der Mittagspause bei Bloomingdale's gekauft hatte, zusammen mit einem schwarzen Lackledergürtel und einer passenden schwarzen Lacklederhandtasche. Und als in der Zeitschrift, bei der wir zwölf arbeiteten, mein Bild erschien – ich in einem engen Oberteil aus Silberlaméimitat über einer gewaltigen Wolke aus weißem Tüll, auf einem Dachgarten unter funkelnden Sternen Martini trinkend, in Gesellschaft mehrerer namenloser junger Männer von typisch amerikanischer Statur, die eigens zu diesem Anlaß eingestellt oder ausgeliehen worden waren – da glaubten offenbar alle, ich erlebte gerade eine tolle Zeit.
    Sieh einer an, was in diesem Land alles passieren kann, sagten sie. Da lebt ein Mädchen neunzehn Jahre lang in irgendeinem abgelegenen Städtchen und ist so arm, daß sie sich nicht mal eine Illustrierte leisten kann, dann bekommt sie ein Stipendium fürs College, gewinnt hier einen Preis und da einen Preis, und am Ende hat sie New York im Griff wie das Lenkrad ihres eigenen Wagens.
    Die Sache war nur die, daß ich gar nichts im Griff hatte, nicht einmal mich selbst. Wie ein tauber Trolleybus holperte ich vom Hotel zur Arbeit oder zu irgendwelchen Partys und von den
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