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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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gegangen sein, und daß sein Auftauchen ihre Freude über mein Kommen nur kurz getrübt hatte.
    »Ach, irgendwer«, sagte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Wieder löste sich ein Blutschwall, und ich zog erschrocken den Bauch ein. »Hol mir ein Handtuch.«
    Joan ging hinaus und kam im nächsten Augenblick mit einem Stapel Handtücher und Laken zurück. Wie eine tüchtige Krankenschwester schob sie meine blutigen Kleider beiseite, holte einmal tief Luft, als sie auf das erste königsrote Handtuch stieß, und legte mir eine frische Bandage an. Ich lag da und versuchte, mein Herzklopfen zu bremsen, denn jeder Schlag drückte einen neuen Blutschwall heraus.
    Mir fiel ein quälendes Seminar über viktorianische Romane ein, in denen die Frauen reihenweise bleich und vornehm zwischen Sturzbächen von Blut nach schwierigen Geburten starben. Vielleicht hatte mich Irwin auf irgendeine schreckliche,unklare Weise verletzt, und in Wirklichkeit lag ich hier auf Joans Sofa schon im Sterben.
    Joan zog sich ein indianisches Sitzkissen heran und begann, eine Nummer nach der anderen aus der langen Liste der Ärzte von Cambridge zu wählen. Bei der ersten meldete sich niemand. Bei der zweiten ging jemand an den Apparat, und Joan begann meinen Fall zu schildern, brach dann jedoch mit den Worten »Ich verstehe« ab und legte auf.
    »Was ist denn?«
    »Er kommt nur zu festen Patienten und in Notfällen. Heute ist Sonntag.«
    Ich versuchte, den Arm zu heben und auf meine Uhr zu sehen, aber meine Hand lag wie ein Felsklotz neben mir und rührte sich nicht. Sonntag – das Paradies der Ärzte! Ärzte in Country Clubs, Ärzte am Meer, Ärzte bei Geliebten, Ärzte bei Ehefrauen, Ärzte in der Kirche, Ärzte auf Yachten, überall Ärzte, die mit aller Kraft Leute waren, nicht Ärzte.
    »Um Himmels willen«, rief ich, »sag ihnen, ich bin ein Notfall.«
    Bei der dritten Nummer antwortete niemand, und bei der vierten wurde aufgelegt, sobald Joan erwähnte, es ginge um eine Monatsblutung. Joan begann zu weinen.
    »Hör zu, Joan«, sagte ich, jedes einzelne Wort betonend, »du rufst jetzt beim Ortskrankenhaus an. Sag ihnen, ich sei ein Notfall. Die müssen mich nehmen.«
    Joans Gesicht hellte sich auf. Sie wählte eine fünfte Nummer. Der Notdienst versprach, ein Bereitschaftsarzt werde sich um mich kümmern, wenn ich auf die Station käme. Dann rief Joan ein Taxi. Sie wollte unbedingt mitkommen. Ziemlich verzweifelt drückte ich mein frisches Handtuchpolster an mich, während der Taxifahrer unter dem Eindruck der Adresse, die Joan ihm genannt hatte, im bleichen Dämmerlicht eine Straßenecke nach der anderen schnitt und schließlich unter lautem Reifenquietschen vor der Notaufnahme hielt.
    Ich ließ Joan den Fahrer bezahlen und hastete in den leeren, hell erleuchteten Raum. Hinter einem weißen Wandschirm tauchte eine Krankenschwester auf. Es gelang mir, ihr in wenigen Worten die Wahrheit über meinen Zustand zu erklären, ehe Joan zur Tür hereinkam, blinzelnd und mit weit aufgerissenen Augen, wie eine kurzsichtige Eule.
    Nun schlenderte auch der Bereitschaftsarzt herein, und ich bestieg mit Hilfe der Schwester den Untersuchungstisch. Sie flüsterte dem Arzt etwas zu, der nickte und begann, die blutigen Handtücher aufzupacken. Ich spürte, wie seine Finger zu tasten begannen, während Joan stramm wie ein Soldat neben mir stand und meine Hand hielt – ob um mich zu trösten oder sich selbst, konnte ich nicht erkennen.
    »Autsch!« Ich jaulte bei einem besonders stechenden Schmerz.
    Der Arzt stieß einen Pfiff aus.
    »Sie sind die eine unter einer Million.«
    »Wie bitte?«
    »Ich meine, so was passiert einer unter einer Million.«
    Der Arzt flüsterte der Schwester etwas zu, und sie hastete zu einem Nebentisch und kam mit einigen Gazerollen und silbernen Instrumenten zurück. »Ich sehe genau«, der Arzt beugte sich herunter, »wo das Problem liegt.«
    »Und können Sie es auch lösen?«
    Der Arzt lachte. »Aber sicher kann ich das.«
    Ein Klopfen an meiner Tür weckte mich. Es war nach Mitternacht, und in der Anstalt war es totenstill. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer um diese Zeit noch auf war.
    »Herein!« Ich schaltete die Nachttischlampe an.
    Die Tür öffnete sich, und in dem Spalt erschien der dunkle Kopf von Miss Quinn. Ich sah sie erstaunt an, denn ich kannte sie zwar und grüßte mit einem kurzen Nicken, wenn ich ihr auf dem Flur begegnete, aber ich unterhielt mich nie mit ihr.
    Jetzt sagte sie: »Miss Greenwood, darf ich
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