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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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Weihnachtstag 799, als König Karl zu mir kam und sich für die Unannehmlichkeiten der Untersuchung entschuldigte, die er einer trauernden Witwe wie mir nicht erspart hatte, lagen die Pergamente auf dem Tisch in der Wohnhalle, nur ungefähr eine Handlänge von Karl entfernt. Aber er kann nun mal nicht lesen! Als sein Blick auf den Stapel fiel, fragte er: »Etwas zur geistlichen Erbauung?« - »Ja, Euer Gnaden, gewissermaßen.« - »Nun, das ist der richtige Weg.« Da er nicht wusste, dass ich es war, die Gerold den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung der Morde gegeben hatte, und da es ihm peinlich war, dass meine Nichte die Mörderin war, äußerte er sich überhaupt nicht zu dieser Sache.
    Die belesene Königin Liutgarde besuchte mich einen Tag später, aber sie nahm keine Notiz von den Pergamenten. Sie bedauerte meinen doppelten Verlust - Arnulf und Gerlindis - und sagte nach einer Weile: »Man fragt sich, wie lange Ihr gedenkt, in der Residenz Aachen zu verweilen, nun, da Ihr Witwe seid.«

    Ich verstand. »Man« - also Karl - brauchte das Haus für Arnulfs Nachfolger. Man setzte mich vor die Tür. Ich war nicht länger Pfalzgräfin. Wenige Wochen später verließ ich Aachen.
    Ich habe weder den König noch die Königin seither wiedergesehen. Liutgarde starb vor ungefähr einem Jahr in der Nähe von Tours, und Karl... Papst Leo krönte ihn vor wenigen Monaten in Rom zum Kaiser. Damit hat er das Ziel eines abendländischen Imperiums erreicht, dem sich sogar der Heilige Stuhl in Rom beugt. Es war zweifellos ein schweres Stück Arbeit, das Karl in diesen fast dreißig Jahren als Herrscher des geeinten Frankenreichs geleistet hat, aber es wird eine Herkulesaufgabe sein, dieses Reich zusammenzuhalten. Ich wünsche mir, dass es gelingt.
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    Das Pergament habe ich mit nach Chalon genommen, wo ich mir ein Gut gekauft habe, von dem aus ich auf den Ort meiner Geburt blicke. Eine der Unsinnigkeiten der Zeit, in der ich lebe, ist es, dass man einer Witwe mehr zutraut als einer Gattin, ganz so, als würden Trauer, Einsamkeit und bisweilen auch Armut adeln, ja, als sei man erst als Witwe Mensch geworden. Ich verfüge über Arnulfs gesamtes Erbe, das nicht gering ist, und verbringe meine Tage damit, Hühner zu füttern, Briefe an Eugenius zu schreiben, der wieder in Rom lebt, die Aufsicht über den Weinberg zu führen und mir die schrecklichen Kinder meiner inzwischen verstorbenen Schwester Friedgard vom Leib zu halten, die allesamt Geld von mir wollen. Ich habe ihnen deutlich gesagt, dass sie keines zu erwarten haben, und vorsichtshalber habe ich hinzugefügt, dass im Falle meines Todes das gesamte Vermögen dem Kloster Argenteuil zufällt.

    Â 
    Wieso Argenteuil? Teodrada ist dort Nonne. Eine meiner letzten Taten in Aachen war es, das Königspaar davon zu überzeugen, dass Teodrada großen Frieden braucht, den sie am Hof nie finden würde. Dass sie erfolgreich dabei geholfen hat, Hugos Mörder zu finden, hat ihr gutgetan, aber das Klosterleben wirkt wahre Wunder an ihr. Als ich sie kürzlich besuchte, hat sie zugegeben, die Gefühle, die Hugo ihr entgegenbrachte, mir gegenüber übertrieben dargestellt zu haben. Er hatte nie vor, sie zu heiraten, er hat sie nur ein wenig gemocht. Das hatte ich mir zwar schon gedacht, seit ich von Hugos und Gerlindis’ Liebschaft weiß, aber es ist wichtig, dass Teodrada von sich aus die Dinge zurechtrückt. Im nächsten Jahr soll sie Äbtissin in Argenteuil werden. Ich möchte zum Gedeihen des Klosters und dem Erfolg seiner Äbtissin beitragen. So gesehen wird Teodrada meine Erbin werden.
    Â 
    Gerlindis ist tot. Sie wurde am Tag des heiligen Silvester 799, eine Woche nach ihrem Geständnis, auf dem Block hingerichtet. Ich war nicht dabei. Ich trank den Rest von Fionees Mohnsaft. Seither hatte ich nie wieder Verlangen danach.
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    Berta wurde - so wie ich es erwartet und inständig erhofft hatte - milder bestraft. Burchard verstieß sie. Sie lebt im Kloster Regensburg, das sie zwar niemals verlassen darf, wo sie aber - ähnlich wie Teodrada in Argenteuil - friedliche Tage verbringt. Ich wagte nicht, ihr zu schreiben, aber gestern kam ein Brief von ihr, in dem sie mir dankte. Sie begründete diesen Dank nicht näher. Seither fange auch ich an, Frieden zu finden. Gleich im Anschluss an diesen Nachtrag werde ich Berta antworten.

    Â 
    Was aus
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