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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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Emma geworden ist, weiß ich nicht. Ich gab ihr bei unserem letzten Gespräch zweitausendfünfhundert Pfennige, also rund zehn Pfund Silber. »Neun Pfund für deine Kinder, die auch Arnulfs Kinder sind«, sagte ich. »Und ein Pfund für die Wahrheit.«
    Sie verstand mich und ließ sich darauf ein. Für ein paar Pfennige war sie bereit zuzugeben, dass sie mich umbringen wollte, um endlich Gräfin zu werden. Wenn ich mir überlege, wer alles nach diesem Titel gierte, den ich nie angestrebt habe! Die Welt ist eine verrückte, würde Teodrada dazu sagen.
    Gersvind hat die Anschläge ausgeführt. Auch das war keine Überraschung für mich. Emma hatte ihr versprochen, wenn sie erst Arnulfs Gemahlin und Pfalzgräfin wäre, würde sie dafür sorgen, dass ihr und ihrer Tochter im Fall von Karls Tod keiner etwas antue und dass sie gut ausgestattet würde. Gersvind, die wie alle Nebenfrauen des Königs fürchten musste, dass der nächste König ihr übel mitspielen würde, konnte gewichtige Fürsprecher brauchen und ließ sich darauf ein. Da sie im rauen, barbarischen Sachsen groß geworden war, musste sie sich wohl nicht allzu sehr überwinden, die Anschläge durchzuführen.
    Ich verriet sie nicht. Damit, dass sie kürzlich - ohne ihre Tochter - vom Hof verbannt wurde, habe ich nichts zu tun.
    Â 
    Von Gerold weiß ich, dass Grifo an dem, was über Gerlindis herauskam und was mit ihr geschah, ein Jahr lang schwer trug. Er ist Hauptmann der königlichen Leibwache und so mancher Frau heimliche Sehnsucht geworden, aber er hat sich noch nicht neu gebunden. Vorigen Monat hat er jedoch angefangen, der Tochter von Arnulfs Nachfolger den Hof zu machen - was bei Grifo bedeutet, dass wir
mit einer Hochzeit wohl nicht vor Ende dieses Jahrzehnts rechnen dürfen.
    Â 
    Gerold ist da von anderem Schlag. Er besucht mich, wann immer er es ermöglichen kann, und wir küssen uns. Was mich angeht, küsse ich ihn nicht aus Liebe, sondern aus dem Wunsch heraus, dass er mich liebt. Wie könnte ich nach Arnulf je wieder einen anderen Mann lieben? Ich weiß, dass ich mich wie eine Irre anhöre, und vermutlich bin ich eine Irre, denn ich habe Arnulf getötet und behaupte im gleichen Atemzug, ihn geliebt zu haben. Aber in meinem Kopf ist alles ganz klar.
    Zum Herbst dieses Jahres lässt Gerold sich vom König seiner Pflichten entbinden. Er hat ein Gut in meiner Nachbarschaft erworben. Was soll ich noch sagen? Was ich darüber berichten kann, habe ich berichtet.
    Â 
    Von Fionee habe ich nie wieder etwas gehört. Ich denke jeden Tag an sie, und dann lächle ich das Lächeln, das sie mir vorausgesagt hat. Ich glaube, ich bin eine glückliche Frau, und ich lebe in der Zuversicht, dass Fionee das weiß. Alles, was sie zu mir sagte, habe ich inzwischen verstanden. Wir sind auf immer verbunden.
    Â 
    Dies sind meine letzten Zeilen. Danach bleibt die Niederschrift auf meinem Spiegeltisch liegen, wo sie irgendwann von irgendjemandem gelesen werden wird oder auch nicht. Die Entscheidung darüber lege ich in Gottes Hände.
    Was ich schrieb, habe ich geschrieben, um es abzuschließen. Mit Toten und Verschollenen kann man so wenig reden wie mit Erinnerungen. Man kann beide nicht verändern. Sie sind endgültig. Was immer sie einem zu sagen
scheinen, sie sprechen nicht selbst, sondern es spricht das, was wir in ihnen sehen. Wir drehen uns alles so, wie wir es gerne hätten.
    Beim Blick aus dem Fenster ins Tal der Saöne, eine letzte Erinnerung, die zugleich die erste Erinnerung meines Lebens und neununddreißig Jahre alt ist.
    Â 
    Ich sehe mich über die Wiese laufen, das Gras ist fast so hoch, wie ich selbst es bin. In der Ferne die Fahne auf der Stadtmauer, der Turm der Bischofskirche. Allerlei Käfer fliegen auf, gejagt von Libellen. Ein einzelner Käfer - rot mit schwarzen Punkten - verfängt sich in meinem Haar. Ich bekomme ihn zu fassen, er krabbelt auf meiner Handfläche. Wie schön er ist. Ich halte die Hand in die Höhe, der Käfer krabbelt auf die Spitze meines Zeigefingers, der in den Himmel weist, und fliegt davon. Ich lache. Es ist ein Lachen von ungeheurer Unschuld.

Nachwort
    EINE FIGUR WIE Ermengard schwebte mir schon lange vor. Ein Mensch - egal, ob Mann oder Frau -, der das schlimmste Verbrechen begeht, aber im klassischen Sinn nicht böse ist. Das Schwarz-Weiß-Schema Mörder = finsterer
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