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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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mir fast die Luft weg. Ihre Bemerkung war nicht nur aggressiv, sondern zudem mit der Pfeilspitze der ungebührlichen Anrede versehen. Außer Arnulf duzten mich in der Königspfalz nur meine Nichte Gerlindis und meine Freundin Berta, sonst niemand, und ganz gewiss nicht sie, die ich kaum kannte.
    Erneut las sie in meinem Gesicht, was mir nicht passte. »Wir stehen auf gleicher Stufe. Du bist die Tochter eines burgundischen Sattlers, und ich bin die Tochter eines alemannischen Müllers.«
    Nun wurde es mir zu viel. »Ich bin Gräfin, und du bist keine Gräfin. Das wirst du bitte respektieren.«
    Â»Im Gegenteil, ich möchte selbst Gräfin werden.««
    Ich musste zugeben, dass sie mich ein ums andere Mal verblüffte, nicht nur mit dem, was sie sagte, sondern mit der kaltschnäuzigen Selbstverständlichkeit, mit der sie es sagte. So ganz nebenbei, zwischen zwei Schlucken aus der Schale, warf sie mir gleichsam den Fehdehandschuh hin und machte sich noch nicht einmal die Mühe, schäbig zu grinsen. Ich wusste, was sie meinte, und sie wusste, dass ich es verstanden hatte. Mir ihr Vorhaben zu unterbreiten, bewies, wie sicher sie sich ihrer Sache war, und es traf mich doppelt hart, als wenn ich selbst hinter ihren Plan gekommen wäre.
    Wir sahen uns an, verständigten uns sprachlos wie zwei Würfelspieler.
    Ich sagte mir: Sie hat fast alle Vorteile auf ihrer Seite. Zwischen uns liegen zwanzig Jahre, ein Abgrund, der für mich schon jetzt nicht zu überwinden ist und von Monat zu Monat tiefer wird. In meinem Alter zählt jeder Tag dreifach, in zwei Jahren werden meine Haare angegraut und die Fältchen rund um Augen und Mund zu Falten geworden sein,
während Emma noch immer eine junge Frau sein wird. Was für ein seltsamer Zufall, dachte ich, dass der Name Emma aus dem altgermanischen »Ermen« - »allumfassend« - stammt, so als sei sie wie ihr Name die natürliche Nachfolgerin Ermengards als Ehefrau und Gräfin. Aber nicht nur ihre Schönheit ist die Morgengabe, mit der sie sich empfiehlt, sondern mehr noch ihr Schoß. Sie hat Arnulf bereits eine gesunde Tochter geschenkt, und was, wenn das nächste Kind ein Sohn wird?
    Wie hätte ich in jener Nacht noch schlafen können, wo doch mein Schoß ein Salzfeld war, in dem jeder Samen, den man hineingelegt hatte, verkümmerte.

5
    UM DAS, WAS in den nächsten Tagen und bis heute folgte, verstehen zu können, ist es nötig, das Leben kennenzulernen, das ich in den letzten Jahren führte.
    Â 
    Ein beliebiger Tag im Leben der Pfalzgräfin Ermengard. Vor Sonnenaufgang steht sie von ihrem Lager auf. Ihr Gatte Arnulf ist - falls er die Nacht bei ihr gelegen hat - bereits in seine Kammer zurückgegangen. Eine Wasserschale steht bereit. Sie wäscht sich am ganzen Körper, wobei sie sich im Sommer mehr, im Winter weniger Zeit dafür nimmt, denn es herrscht eine Entenkälte. Sie trocknet sich mit Stofftüchern ab, bisweilen auch mit Stroh, weil sie das noch aus der Kindheit kennt, in der sie arm gewesen war.
    Die Zofe kommt, kleidet Ermengard an und frisiert sie.
    Sonnenaufgang. Ermengard geht in den Gottesdienst. Sie trägt ein gutes Kleid in dezenten Farben und steht in der vordersten Reihe auf der Seite der Frauen. Neben ihr stehen Königin Liutgarde sowie Ermengards Freundin Berta. Was die Männer angeht, so nimmt nicht jeder an allen Messen teil. Die Frauen und Männer niederen Standes, wie zum Beispiel Diener, sind von denen höheren Standes durch ein Gitter getrennt.
    Nach dem Gottesdienst zieht sie sich um. Nun trägt sie ein weniger gutes Kleid in noch dezenteren Farben. Sie nimmt mit Arnulf eine Mahlzeit ein, die die Magd bringt:
Brot mit Käse, Schinken und Salzhering, Linsen- oder Bohnengrütze und Eier.
    Anschließend geht sie in Begleitung der Zofe durch das Dorf Aachen, entweder um dort Besorgungen zu machen oder weil man sie in einer Angelegenheit um mildtätige Hilfe gebeten hat, die sie stets leistet. Meist handelt es sich um Familien in größter Not, um Hunger, Krankheit, Tod... Niemals wendet man sich in Fragen an sie, die die Angelegenheiten Arnulfs betreffen. So etwas wäre unstatthaft.
    Zur Mittagszeit besucht sie den zweiten Gottesdienst, wobei sie sich zuvor und danach wieder umzuziehen hat. Den Nachmittag verbringt sie mit den Näharbeiten an Arnulfs und ihren Kleidern. Vom Zuschnitt bis zu den Feinarbeiten geht alles durch
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