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Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Titel: Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4
Autoren: dtv
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murmelte Jonas und duckte sich, bis seine Augen über dem Rand des Fasses kaum noch zu sehen waren. Er rechnete damit, dass HK auch darüber meckern würde, doch der Definator blieb stumm.
    Neugierig sah Jonas zu Henry Hudson hinüber. Noch vor wenigen Minuten hatte dieser davon gesprochen, ein alter Seemann zu sein, aber vielleicht war das nur ein Bluff gewesen. Vielleicht war er in Wirklichkeit jung, sportlich und agil   – und geschickt mit dem Schwert. Möglicherweise hatte er eins in seinem Ärmel versteckt. Er hätte sich damit die Fesseln an den Handgelenken durchtrennen und dann mit der Schwertspitze dem Mann die Pistole aus der Hand schlagen können. So etwas passierte in Filmen ständig. Jonas hoffte, dass er rechtzeitig aufgesprungen war, um ein paar rasante Showeinlagen zu sehen, etwa wie Henry Hudson die Pistole ein paar Mal auf der Spitze seines Schwerts kreiseln ließ, ehe er sie ins Wasser schnickte.
    Aber Henry Hudson stand immer noch stumm und mit straff gefesselten Händen bei der Tür.
    Nur der Mann mit der Pistole hatte sich bewegt. Statt die Waffe weiter auf Henry Hudson zu richten, hatte er sich abgewandt und zielte nun auf   …
    Jonas musste den Hals recken und um den Mast herumspähen.
    Ein ganzer Trupp Seeleute sprang drüben beim Niedergang herum. Jonas sah ein Schwert aufblitzen, konnte aber nicht erkennen, wer es in der Hand hielt. Einer der in die Enge getriebenen Matrosen drehte sich um und schrie dem Mann mit der Pistole zu:
    »Nicht schießen! Nicht schießen! Sonst triffst du einen von uns!«
    »Dann tretet zurück!«, rief der Mann mit der Pistole.
    »Aber er ist hinter uns her!«
    Der Trupp löste sich auf und fand wieder zusammen, als der Mann mit dem Schwert auf die anderen losging und diese auf ihn zukamen, um ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Mit einem Filmkampf hatte das Ganze nichts zu tun: Der Fechter bewegte sich schwerfällig und unbeholfen und die Männer um ihn herum waren in Panik und kopflos, sie agierten zusammen, wo sie sich hätten aufteilen müssen.
    In der Schlacht von Bosworth, im fünfzehnten Jahrhundert, hatte Jonas wesentlich bessere Fechtkünste gesehen, erinnerte er sich.
    Aber er hatte auch Kämpfer sterben sehen.
    Er schloss die Augen.
    »Ist ihm nicht klar, dass sie ihn erschießen werden?«, schimpfte Katherine. »Das ist wie beim Stein-Schere-Papier-Spielen. Pistolen sind immer besser als Schwerter.«
    »Nicht unbedingt«, meinte HK leise. »1611 waren Pistolen noch nicht sehr treffsicher.«
    »Dann hat der Mann also Angst, zu schießen?«, fragte Katherine. »Er fürchtet, dass er einen seiner Freunde treffen könnte?«
    Jonas machte die Augen gerade so weit auf, dass er Katherine auf den Mann mit der Pistole deuten sah. Er folgte ihrer Geste   – und erstarrte.
    »Sieh dir das an«, murmelte er.
    Henry Hudson war vorgetreten und hatte die Hand auf die Pistole gelegt. Nicht um sie zu packen, sondern um sie von sich abzuwenden.
    »John King, mein treuer Maat«, rief er aus.
    Wieder reckte Jonas den Hals, um über das Deck zu schauen. Der Mann mit dem Schwert hob den Kopf.
    »Ja, Master?«, rief er.
    »Legt Euer Schwert nieder«, rief Hudson. »Kommt mit mir in die Schaluppe und wir werden auch ohne diese Feiglinge Ruhm und Ehre erlangen.«
    Der Mann mit dem Schwert, John King, hörte auf, Hiebe zu verteilen und abzuwehren, hielt die Waffe aber weiter fest.
    »Mit ›Ruhm und Ehre erlangen‹ meint Ihr aber nicht, dass wir sterben müssen, oder?«, fragte King.
    »Nein, nein«, sagte Hudson und tat die Frage ab, als sei an Tod gar nicht zu denken. »Ich spreche von der Nordwestpassage. Ich weiß jetzt, wie wir sie finden können.«
    Die Nordwestpassage?, grübelte Jonas. Er erinnerte sich vage daran, dass sie in Gemeinschaftskunde darüber gesprochen hatten.
    Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich auf Henry Hudsons Schiff in Kanada landen würde   – oder dem, was einmal Kanada sein wird   –, hätte ich besser aufgepasst, dachte er.
    Die Seeleute reagierten, als hätte Hudson erklärt, dass er mit hundertprozentiger Sicherheit wisse, wie man im Lotto gewinnt. Einige machten ehrfürchtige Gesichter, andere schüttelten den Kopf und verdrehten die Augen.
    »Er lügt«, schrie der Mann mit der Pistole. »So, wie er die ganze Zeit über gelogen hat! Wollt ihr noch einen Winter hier zubringen? Soll das hier euer Grab werden?«
    Er zeigte in den Nebel, auf das dunkle Wasser.
    Selbst die Seeleute, die ehrfürchtige Gesichter gemacht hatten,
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