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Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Titel: Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4
Autoren: dtv
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1616 wurden alle acht Überlebenden wegen Mordes vor Gericht gestellt. Die Anklage lautete, die Überlebenden hätten Hudson, seinen Sohn und sieben weitere Männer »ohne Nahrung, Getränke, Feuer und Kleidung in einer gewissen Schaluppe im Eis ausgesetzt«. »Sodass diese (die Männer in der Schaluppe)«, wie es weiter heißt, »zu Tode kamen und elendig zugrunde gingen. Robert Bylot et cetera haben Henry Hudson getötet und ermordet.«
    Prickett verteidigte sich damit, dass während der Meuterei niemand »erschossen oder auf andere Weise zu Schaden gekommen« sei. Bylot ließ es aussehen, als seien die Männer in der Schaluppe freiwilig davongefahren. Und ein weiteres Besatzungsmitglied, Bennet Matthew, behauptete, Hudson und einige andere seien, noch nachdem man sie in die Schaluppe gesetzt hatte, wieder an Bord gekommen, um sich aufzuwärmen und einige Habseligkeiten zu holen, und dann wieder in die Schaluppe gestiegen.
    Aus welchem Grund sollten die Männer in der Schaluppe so friedlich davongefahren sein? Wie konnte jemand den Geschichten der Überlebenden Glauben schenken   – noch dazu angesichts der vielen Blutflecke auf dem Schiffsdeck?
    Egal, ob irgendjemand den Überlebenden glaubte oder nicht, keiner von ihnen wurde gehängt. Bylot wurde begnadigt, weil er es geschafft hatte, die
Discovery
mit den verbliebenen Männern sicher zurückzubringen; Edward Wilson und Prickett befand man für nicht schuldig, und 1618 ließ man auch die Anklagen gegen alle übrigen noch lebenden Beteiligten fallen.
    Vielleicht schilderten Prickett und die anderen Überlebenden Hudson als so verrückt, dass die Richter die Meuterei für gerechtfertigt hielten. Vielleicht interessierte es nach sieben Jahren aber auch einfach niemanden mehr.
    Denkbar wäre auch, dass die Engländer, selbst nach all den fehlgeschlagenen Reisen, die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten, jemand von der
Discovery
könnte die so schwer zu findende Nordwestpassage doch noch entdecken.
    Es gibt sie wirklich, allerdings nicht so, dass es Henry Hudson viel genützt hätte, sie zu finden. Wenn du dir eine aktuelle Karte von Nordamerika ansiehst   – und nicht eine der handgezeichneten, halb erfundenen Karten aus dem siebzehnten Jahrhundert,die Henry Hudson verwendete   –, siehst du eine ganze Reihe möglicher Routen durch und um die Inseln herum, aus denen sich das nördliche Kanada und Alaska zusammensetzen. Auf den Karten, mit denen ich gearbeitet habe, sind diese Wasserwege pastellblau abgebildet, als wäre das Meer dort so offen und klar wie die Karibik. Doch die meiste Zeit des Jahres sind diese Gewässer zugefroren und wären für ein Schiff, das so klein und zerbrechlich ist wie die
Discovery
, mit Sicherheit unpassierbar gewesen. Das erste Mal gelang Roald Amundsen 1906 eine vollständige Durchfahrt, nachdem er drei Winter im Eis eingeschlossen gewesen war.
    Neuerdings ist die Nordwestpassage durch den Klimawandel wieder ins Blickfeld gerückt. Auch wenn die klimatischen Veränderungen an anderen Orten sicherlich große Probleme verursachen können, weisen manche darauf hin, dass die Nordwestpassage durch das Abschmelzen des Polareises zu einer günstigen Schifffahrtsroute werden könnte, womit sich Hudsons Traum endlich erfüllen würde.
    Aber vielleicht interessierst du dich, genau wie Jonas und Katherine, mehr für die betroffenen Menschen als für das Schicksal der Nordwestpassage. Vielleicht ist das, was dir durch den Kopf geht, nicht die Frage: »Welchen Nutzen hat die Nordwestpassage?«, sondern: »Was ist aus John Hudson und den anderen geworden, die man in einer Schaluppe im Packeis zurückließ?«
    Genau weiß das niemand.
    Da es die Männer geschafft hatten, den Winter von 1610 auf 1611 zu überleben, erscheint es nicht allzu abwegig anzunehmen, dass zumindest einige von ihnen auch andere Winter in anderen Jahren überlebt haben könnten. Diese Möglichkeit wird noch wahrscheinlicher, wenn es ihnen gelungen sein sollte,sich Dinge von dort lebenden Ureinwohnern abzuschauen (bei denen es sich wahrscheinlich um Cree-Indianer aus der Nähe der James Bay gehandelt haben dürfte und nicht um Inuit, wie Katherine vermutet). Allerdings überrascht es nicht, dass sich Hudson bei seinen vorangegangenen Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen nicht geschickter angestellt zu haben scheint als im Umgang mit seinen eigenen Leuten. Aber vielleicht waren andere in der Schaluppe   – Staffe oder John Hudson?   – diplomatischer als
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