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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit
Autoren: Heike Eva Schmidt
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»Zu vermieten«.
    In ein paar Tagen werde ich mit einem Teil unseres Erbes mein eigenes Café eröffnen. Ich schmiege mich an Jonathan und sehe lachend zu ihm auf. »Willst du deine Kräfte nicht lieber schonen? Schließlich hast du nächste Woche doch dieses wichtige Turnier?«, frage ich scherzend.
    Er grinst und schüttelt den Kopf. »Der Umgang mit dem Pinsel ist ein gutes Training für die Arme«, behauptet er.
    In Wirklichkeit hat er aber den Sieg schon so gut wie in der Tasche. In Rekordgeschwindigkeit hat Jonathan sich einen Namen als Fechter gemacht. Er ist vor ein paar Monaten einfach in die bekannteste Fechtschule der Gegend marschiert und hat sich vorgestellt.
    Natürlich wurde der junge Mann, von dem noch niemand etwas gehört hatte, erst einmal belächelt. Das änderte sich jedoch schlagartig, nachdem Jonathan den Champion und Vorzeigefechter des Clubs in einer Direktausscheidung vernichtend mit fünfzehn zu einem Treffer geschlagen hatte. Obwohl mein Liebster um seine Ausbildung ein großes Geheimnis macht – kein Wunder, seine Fechtstunden am österreichischen Kaiserhof sind schließlich schon ein paar hundert Jahre her –, gewinnt er einen Wettkampf nach dem anderen. Die Sponsoren reißen sich inzwischen um den gutaussehenden jungen Fechter, der sich in Gesprächen stets ausgesucht höflich ausdrückt. Sie glauben, er ist einfach ein Naturtalent.
    Nebenbei unterrichtet er auch junge Fechtschüler, und sie vergöttern ihn – vor allem seine Schüler
innen.
    »Bist du nicht manchmal doch eifersüchtig?«, hat Lilly mich neulich gefragt, aber ich habe nur gelächelt und den Kopf geschüttelt. Was wir beide zusammen tief unten im Felsenreich Laurins erlebt haben, hat das unsichtbare Band zwischen uns stärker geschmiedet als das härteste Eisen. Und auch wenn Jonathan mich oft neckt, mein Café würde bald vor männlichen Gästen aus allen Nähten platzen, die noch lieber als mein Gebäck
mich
vernaschen würden, weiß er doch, dass kein anderer Mann seinen Platz in meinem Herzen einnehmen kann.
     
    Nun löst er sich behutsam von mir und kramt in seiner Jackentasche. »Sieh mal, was ich heute erworben habe. Du weißt, mein letztes Duell hat mir einen stattlichen Geldpreis eingebracht!« Mit diesen Worten zieht er ein kleines, ultraflaches Gerät heraus, von dem ein Kabel mit zwei Kopfhörern baumelt, die kleiner als mein Fingernagel sind. Ich muss schmunzeln, weil ich das Symbol eines angebissenen Apfels darauf entdecke.
    »Es ist so faszinierend, Emma!«, sagt er andächtig. »Kannst du dir vorstellen, dass in diesem winzigen Kasten über eintausend Musikstücke schlummern? Dass so etwas möglich ist, hätte ich mir damals selbst in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können!« Jonathan strahlt wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum.
    Ich verdrehe die Augen, muss aber schmunzeln.
    »Also nach meinem Geschmack hast du dich etwas
zu
sehr an die modernen Zeiten angepasst!«, necke ich ihn.
    Er legt seine neueste Errungenschaft beiseite und zieht mich an sich. Engumschlungen fallen wir aufs Sofa. Unsere Gesichter sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Wortlos blicken wir uns an, und mir ist, als wechselten Jonathans Augen die Farbe: von Kornblumenblau zu einem tieferen Indigo, bis sie fast violett wirken und ich mich in ihnen verliere.
    »Was bedeutet schon die Zeit«, murmelt er und streicht mir zärtlich eine Locke aus dem Gesicht. »Selbst das Jahrhundert ist mir gleichgültig, solange du nur bei mir bist.«
    Ich schmiege mich an ihn. »Das werde ich, Jonathan. Bis zu dem Tag, an dem alle Zeit endet.«
     
    ENDE

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    Ich danke:
    Johannes, der mich im Urlaub in die Dolomiten gelotst hat und mir den Blick auf den Rosengarten und damit die Inspiration für dieses Buch schenkte.
Monika, wie immer meine Seelentrösterin, Aufbauhelferin und Herzensfreundin.
Anja Koeseling von der Agentur Scriptzz für ihre schier unerschöpfliche Energie, ihre Ermutigungen und ihr Engagement.
Meinen Freundinnen, die stets geduldig warten, bis ich aus meinem Buchstabensalat wieder auftauche – und wir bei unseren Treffen einfach mit den Gesprächen dort anknüpfen, wo wir beim letzen Mal aufgehört haben.
Meinen Schriftstellerkolleginnen, mit denen ein wunderbarer Erfahrungsaustausch und ehrliche Freude über die gegenseitigen »Werke« möglich ist.
Dem Knaur-Verlag, vor allem Martina Wielenberg für die konstruktive und nette Betreuung sowie Sabine Thiele für ihr feinfühliges Lektorat.

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