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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit
Autoren: Heike Eva Schmidt
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als Sieger und wollte zum finalen Schwertstreich ausholen. Er huschte in einem Bogen um den großgewachsenen Ritter herum, bereit, ihm das Schwert in den Rücken zu rammen, als Dietrich blitzschnell herumfuhr und Laurin einen harten Schlag verspürte. Seine Tarnkappe flog in hohem Bogen davon. Noch ehe der Zwerg wusste, wie ihm geschah, spürte er die scharfe Spitze von Dietrichs Schwert an seiner Kehle. Kurz darauf hatten die Recken ihn umzingelt. Nun war es
sein
Blut, das aus einem dünnen Schnitt am Hals auf die Rosenblätter tropfte. Er war besiegt.
     
    Das Zwergenvolk heulte und jammerte, als es mit ansehen musste, wie sein König in Ketten gelegt wurde. Mit ihren Schwertern und Speeren trieben Dietrichs Männer die kleinwüchsigen Wesen zurück zwischen die Felsen. »Mit dem Teufel muss es zugegangen sein, dass du mich entdecktest«, kreischte Laurin in ohnmächtigem Zorn. Doch Dietrich von Bern lachte. »Deine Rosen haben dich verraten. An ihren Bewegungen konnte ich sehen, wohin du liefst, hässlicher Zwerg«, höhnte er. Dann zwang er Laurin, das Tor zu seinem unterirdischen Reich zu öffnen und für jeden erschlagenen Recken einen Sack voll Gold herauszugeben. Hilflos musste der Zwergenherrscher zusehen, wie Dietrichs Mannen einen Teil seiner Schätze auf ihre Pferde luden.
    Das Schlimmste aber war, dass sie ihm Similde nahmen. Das bildschöne Mädchen trat durch den Felsspalt ins Freie. Ihr langes Haar flammte im Schein der untergehenden Sonne wie die Farbe des Erzes tief im Berg. Bei ihrem Anblick war Laurin zumute, als ob der kalte Stahl seiner Fesseln bis in sein Herz schnitt. Und als Similde sich mit einem erleichterten Aufschluchzen in die Arme des Hünen aus Bern warf und Laurin in ihren Augen sah, dass sie fortan ihm gehören würde, da fühlte er weißglühenden Zorn durch seine Adern fließen. Mit rasselnden Ketten, gebunden und gedemütigt wie ein Hund, drehte Laurin sich um und warf einen hasserfüllten Blick auf seinen Garten mit all den Rosen, die ihn an diesem Tag so schändlich verraten hatten. Und er verfluchte den ganzen Rosengarten samt jeder einzelnen Blume, die dort wuchs, und sprach einen Zauberbann über sie: Fortan sollte kein Auge diese Pracht mehr schauen, weder bei Tag noch bei Nacht.
     
    Viele Jahre lang fristete der König der Zwerge sein Dasein als Gefangener auf der Burg hoch über Bern. Durch die Gitterstäbe in seinem Verlies konnte er ein Stück Himmel und in weiter Ferne die Gipfel einer Bergkette sehen. Doch sein Felsenpalast war unerreichbar weit und Laurin durch die Gefangenschaft in der Menschenwelt zunehmend geschwächt. Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben, sein steinernes Reich je wiederzusehen, als sich auf einmal die Tür zu seinem Verlies öffnete und seine Ketten von einem stattlichen Ritter gelöst wurden.
    »Im Namen von Similde und Dietrich von Bern lasse ich dich frei. Doch schwöre, Zwerg, dass du unverzüglich in den Berg zurückkehrst und keine Rache an den Unsrigen übst!«, forderte der Mann.
    Was blieb Laurin anderes übrig? Er schwor es, und die Kerkertür öffnete sich für ihn. Der Zwergenkönig konnte nicht ahnen, dass der hochgewachsene Ritter Simildes Sohn war und ihm die Freiheit zurückgab, weil seine Eltern verstorben waren. Similde hatte ein gutes Herz, und daher war es ihr letzter Wille gewesen, ihrem einstigen Peiniger mit ihrem Tod die Freiheit zu schenken.
    Erschöpft und bitteren Herzens kehrte der König der Zwerge nach beinahe fünfzig Jahren in seine Wohnstatt tief im Inneren des Berges zurück. Seine Untertanen empfingen ihn mit großem Jubel und einem Fest, so, als wäre er nur wenige Tage fort gewesen.
     
    Trotz der Schmach, die König Laurin in der Oberwelt erleiden hatte müssen, gab er doch insgeheim die Hoffnung nie auf, Similde eines Tages wiederzusehen, auch wenn inzwischen auch im Zwergenreich einige Zeit ins Land gegangen war.
    Er wusste ja nicht, dass Simildes Schönheit längst verblasst und ihre Knochen seit Jahrzehnten schon zu Staub zerfallen waren. Denn ein Menschenjahr galt im Zwergenreich kaum mehr als ein Wimpernschlag.

[home]
    Kapitel 1
    L aurin hatte bei seinem Fluch jedoch die Dämmerung vergessen, und so kommt es, dass der verzauberte Garten auch heute noch bei Sonnenauf- und -untergang seine blühenden Rosen für kurze Zeit erstrahlen lässt«, beendete ich die Geschichte um den sagenhaften Zwergenkönig und klappte das Buch
Sagen und Legenden der Berge
zu.
    Caro schwieg einen Moment lang andächtig, ehe
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