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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen
Autoren: Amma Darko
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Und doch fand Naa Yomo in diesen Enthüllungen etwas, was für MUTE und Harvest FM von Interesse hätte sein können. Deshalb hatte sie Odarley zu Fofo geschickt.
    Sylv Po war mit seinem Guten-Morgen-Ghana-Programm bereits am Ende, aber am Telefon noch mit einer Frau beschäftigt, die schon während der Sendung mehrfach angerufen und um ein Gespräch gebeten hatte.
    «Nehmen wir mal an, ich bin das älteste von fünf Geschwistern», begann sie. «Unser Vater ist arbeitslos, und trotzdem gibt er jeden Pfennig, der übrigbleibt, für Alkohol aus. Er schlägt uns alle, auch unsere Mutter. Wir haben alle Angst vor ihm. Es ist kein Geld da. Wir drei älteren gehen jeden Tag raus auf die Straße und verdienen uns was. Unsere zwei jüngeren Geschwister müssen oft hungern. Wenn wir das Geld unserer Mutter geben, nimmt unser Vater es ihr weg. Und trotz alledem bekommt meine Mutter schon wieder ein Kind. Und ich bin sicher, es wird nicht das letzte sein. Ich möchte wissen, ob es ein Gesetz gibt, mit dem ich durchsetzen kann, daß meine Eltern kein weiteres mehr in die Welt setzen.»
    Sylv Po versprach, sich um das Thema zu kümmern und es in einer seiner nächsten Sendungen zu behandeln. «Es dürfte interessant sein, was Verbände wie die nationale Kinderkommission, die Kommission für Menschenrechte und Gerechtigkeit, FIDA, der Nationalrat für Frauen und Entwicklung und das Justizministerium dazu zu sagen haben!» Dann informierte ihn sein Redakteur, daß Vickie mit einer Nachricht von Dina auf ihn wartete. Sylv Po hörte ihr aufmerksam zu und sagte: «Ich hol nur schnell meine Sachen. Wir fahren bei der Werkstatt vorbei und holen den Angestellten ab.»

KAPITEL 23
     
     
     
    Manche Leute fragen sich immer wieder, welchen vernünftigen Grund es dafür geben mag, daß der einzige Sohn Gottes nicht ihre Hautfarbe hat. Für die Bewohner eines Landes, eines Kontinents, für eine Rasse, die immer noch unter den Auswirkungen der schändlichen Ausbeutung und Entwürdigung durch eine andere Rasse leidet, ist diese Tatsache sehr verwirrend.
    Warum hat Gott, der Vater, beschlossen, seinen Sohn nicht in ihrer Hautfarbe auf die Welt kommen zu lassen, sondern in der jener Leute, die eines Tages mit der Bibel in der einen und dem Gewehr in der anderen Hand in dieses Land kamen? Welche verborgene Botschaft steckte da wohl dahinter, falls es überhaupt eine gab?
    Eine derart verwirrte Seele kann gar nicht umhin – obwohl sie womöglich keinerlei prinzipiellen Zweifel hegt an der Integrität des Schöpfers –, sich laut darüber zu wundern, warum Gott, der doch die Grenzen des Menschen kennt, nicht einfach die Sache abgekürzt hat, indem er seinen Sohn gleich in allen drei Farben auftreten ließ: als Schwarzen, als Weißen und als Gelben? Diejenigen, die man vergewaltigt, ausgeraubt und ausgebeutet hat, hat man gewonnen für die Religion derer, die vergewaltigt, geraubt und ausgebeutet haben. Um nicht zu sehr ins Grübeln zu kommen, befolgen sie vernünftigerweise die Regel: «Denk nicht, stell keine Fragen. Glaube und bete. Fertig.» Und machen diese Regel zu ihrem bequemsten Ruhekissen. Denn mit dem Verstand an diese Frage heranzugehen, bedeutet, daß man nach Alternativen suchen muß. Und hier kommt der Medizinmann ins Spiel.
    Das Verhalten des Medizinmanns scheint sehr oft obskur, gibt Rätsel auf, und seine Ratschläge scheinen dem normalen Sterblichen nicht immer hilfreich.
    Vickie zum Beispiel schauderte es beim Anblick der seltsamen Tierschädel und blutverschmierten Knochen. Und Sylv Po war gar nicht erbaut, mehrere Schritte rückwärts gehen zu müssen, nur weil er das Grinsen einer ziemlich lächerlichen Holzstatue erwidert hatte.
    «Was habe ich falsch gemacht?» hätte er am liebsten den Medizinmann gefragt. «Der hölzerne Typ stand da und hat mich angegrinst, und ich wollte nur höflich sein.»
    Aber das hätte wohl alles noch schlimmer gemacht, und er wäre vielleicht aus dem Schrein geworfen worden. Und das konnte er nicht riskieren. Schließlich wollten sie herausfinden, weshalb Onko den Medizinmann kurz vor seinem Tod konsultiert hatte. Ganz zu schweigen davon, daß es sie gemäß der Preisliste des Medizinmannes bereits den Gegenwert von zwei Flaschen Schnaps und zwei Hühnern gekostet hatte, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
    Der Medizinmann unternahm nicht einmal den Versuch, und sei es nur aus Höflichkeit, zu verbergen, daß er den wahren Grund für Onkos geschäftliche Probleme kannte. Wäre es da nicht
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