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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer
Autoren: R Merle
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unternehmen?«
    »Nein.«
    »Kann es zu einer spontanen Heilung kommen?«
    »Wenn es eine gab, erfolgte sie vor dem Koma und hat sich unseren Nachforschungen entzogen.«
    »Wenn ich Sie recht verstehe, war der Ausgang der Krankheit in allen Fällen, die Sie beobachtet haben oder von denen Sie Kenntnis
     erhielten, tödlich?«
    »Ja.«
    Skelton befeuchtet sich die Lippen und fährt fort: »Wie verbreitet sich die Enzephalitis 16?«
    »Sie ist vom ersten Tag der Inkubation an ansteckend. Da der Kranke sich nicht voll im klaren darüber ist, bereits angesteckt
     zu sein, und da die Inkubationszeit eine Woche beträgt, kann er in dieser Zeit eine große Zahl von Menschen aus seiner Umgebung
     infizieren«, füge ich hinzu.
    Ich weiß wohl, warum ich das sage. Die Presse hat die Enzephalitis 16 noch nicht erwähnt. Sie kennt nicht einmal den Namen,
     den wir ihr gegeben haben. Dieses Schweigen erscheint mir katastrophal. Ich möchte, daß die Regierung meinen Bericht veröffentlicht
     und schleunigst die unumgänglichen prophylaktischen Maßnahmen einleitet. Wenn man vermeiden will, daß die Epidemie sich wie
     ein Ölfleck ausbreitet, muß man selbstverständlich die Kontakte von Personen weitgehend einschränken – welchen ökonomischen
     Schaden auch immer solche Entscheidung nach sich zieht.
    »Ich möchte auf eine wichtige Tatsache aufmerksam machen«, fahre ich fort. »Grob geschätzt ist die Zahl der Fälle nicht hoch.
     1275 Fälle in zwei Monaten für ein Ballungsgebiet wie New York, das scheint nicht übermäßig viel zu sein. Ich |12| möchte Sie vor diesem Optimismus warnen. Nicht die Zahl der Fälle ist alarmierend, sondern das Tempo der Ausbreitung in den
     erfaßten Städten. Wenn diese Ausbreitung sich weiter so fortsetzt, kann sie eine Epidemie befürchten lassen.«
    Ich habe kein Blatt vor den Mund genommen. Im Gegenteil, ich habe das Problem mit allem angebrachten Nachdruck auf den Tisch
     gepackt und dabei ganz offensichtlich die ziemlich dicke Haut des Staatssekretärs Matthews verletzt. Obwohl er seine Augen
     unter den dichten Brauen verbirgt, lese ich in ihnen einen gewissen Grad von Erregung. Einen Augenblick später streckt er
     seine Arme vor und sagt, die beiden Handflächen nach oben gekehrt, mit einem Gemisch von Bestürzung und Ungläubigkeit: »Aber
     ist denn eine große Epidemie noch möglich?«
    Ich will das Eisen schmieden, solange es heiß ist.
    »Herr Staatssekretär, wenn Sie mir gestatten, offen zu sein. Ihre Frage enthält eine optimistische Annahme. Sie denken in
     der Tat, daß beim gegenwärtigen Stand der Medizin eine solche Epidemie bald unter Kontrolle sein würde.«
    »Und habe ich unrecht?«
    »Sie könnten unrecht haben. Nehmen wir an, es handelt sich um ein Virus, das man weder isolieren noch identifizieren kann.«
    »Zum Beispiel?« fragt Skelton mit seiner schwachen, knarrenden Stimme.
    »Die asiatische Grippe von 1918.«
    »Dr. Martinelli, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die virologische Forschung seit 1918 ungeheure Fortschritte
     gemacht hat«, sagt Skelton mit einer Miene, als hätte er mich bei einem Fehler ertappt.
    »Das stimmt«, erwidere ich lebhaft. »Aber das bedeutet keineswegs, daß man von heute auf morgen ein Serum gegen die Enzephalitis
     16 finden wird. Die asiatische Grippe raffte immerhin in einigen Monaten zweiundzwanzig Millionen Menschen dahin.«
    »Wieviel sagten Sie?« fragt Matthews.
    »Zweiundzwanzig Millionen.«
    »Weitaus mehr als der Erste Weltkrieg auf allen kriegführenden Seiten«, sagt Cresby.
    Was Cresby sagt, trifft zu, aber nach seinem triumphierenden |13| Ton zu schließen, fallen alle diese Toten für ihn nicht weiter ins Gewicht: sie dienen ihm vor allem dazu, einen Punkt gegen
     Matthews zu gewinnen.
    »Fahren Sie bitte fort, Dr. Martinelli«, sagt Matthews mit einer Handbewegung, als ob er eine Wespe verscheuchte.
    »Es gibt noch eine andere Tatsache, die ich unterstreichen möchte, das Alter der Kranken. Aus den Statistiken, die wir aufgestellt
     haben, geht hervor …«
    »Einen Augenblick bitte, Doktor«, sagt Mrs. White. »Ich habe Schwierigkeiten mit dem Tonbandgerät. Es nimmt nicht mehr auf.«
    Die Blicke meiner drei Gegenüber richten sich gleichzeitig auf Mrs. White. Da sie weder jung noch hübsch ist, hat sie bisher
     ihre Aufmerksamkeit nicht erregt. In ihren Augen ist sie eine ältere Frau von untergeordneter Stellung, die nicht mehr Bedeutung
     als ein Tisch hat. Außer daß ein Tisch keinen Stuß
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