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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer
Autoren: R Merle
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Ansprechendes,
     wenigstens nicht, wenn sie auf meine Person gerichtet sind. Ich weiß sehr wohl, wie er mich sieht: ein kleiner, zugewanderter
     Ausländer, den der Präsident – ohne Wissen des HEW – an die Spitze einer medizinischen Kommission katapultierte, um seiner
     Sekretärin gefällig zu sein.
    Noch weniger kann Matthews den jungen, genialen Glatzkopf Cresby ausstehen. Cresby hat bei allen Unternehmungen, die der Präsident
     hinter dem Rücken seiner Staatssekretäre betreibt, seine Hand im Spiel und ist der Drahtzieher dessen, was Matthews’ Parteigänger
     voller Bitterkeit die »Schattenregie rung « nennen. Matthews’ einzige Hoffnung ist – Anita dixit –, daß der gegenüber aller Welt und manchmal sogar gegenüber dem Präsidenten
     so arrogante Cresby in Ungnade fällt. Anita teilt diese Hoffnung.
    Der Direktor des Gesundheitswesens, der abgezehrte und gelbliche Skelton, sieht aus, als ob ihn seine eigene Galligkeit zerfressen
     hätte. Ganz offensichtlich haßt er alle: Matthews, Cresby und mich.
    In dem Raum befindet sich eine fünfte Person, die wirklich wenig Platz einnimmt. Es ist eine Frau. Beim Eintreten hörte ich,
     wie jemand sie Mrs. White nannte. Ein recht ironischer Name: Mrs. White ist von Kopf bis Fuß grau. Kleid, Teint, Haare, alles
     ist von der gleichen mausgrauen Tönung. Sie ist ohne Alter und ohne Reize und macht sich, die Kopfhörer an den Ohren, an einem
     Tonbandgerät zu schaffen. Wie alle sehr unauffälligen Menschen macht sie auf mich den Eindruck, als ob sie sich selbst aus
     dem Leben gestrichen hätte.
    »Dr. Martinelli, ich erteile Ihnen das Wort, aber fassen Sie sich so kurz wie möglich«, sagte Matthews schließlich mit einer
     Miene, als überlasse er mir das Wort nur leihweise.
    Ich will mich nicht einschüchtern lassen. Letzten Endes ist es nicht meine Schuld, wenn der Präsident eine selbstherrliche
     Auffassung von seinen Funktionen hat und über die Köpfe seiner Staatssekretäre hinweg regiert. Genausowenig ist es meine |8| Schuld, wenn diese lieber Nattern schlucken, als ihr Amt niederzulegen. Für die ministerielle Größe muß man eben zahlen.
    Ich sehe Matthews an und beginne mit fester Stimme: »Auf Veranlassung des Präsidenten habe ich die Kommission am 27. Juli
     dieses Jahres gebildet. Sie sollte die zur Zeit bekannten Tatsachen über die Enzephalitis 16 untersuchen.«
    »Warum dieser Name?« fragt Matthews brüsk.
    Ich habe Lust, ihm zu antworten, daß er es wüßte, wenn er meinen Bericht gelesen hätte. Statt dessen sage ich ohne Ungeduld,
     aber auch ohne übermäßige Freundlichkeit: »Der erste Fall, den ich beobachtet habe, trat in Zimmer 16 des Georgetown-University-Hospital
     auf.«
    »Fahren Sie fort«, sagt Matthews.
    »Da wir nur über wenig Zeit verfügten, haben wir bisher nur die großen Städte der Vereinigten Staaten und des Auslands untersucht.«
    »Lassen Sie das Ausland weg«, sagt Matthews.
    »Aber dieser Teil des Berichts ist politisch nicht ohne Interesse.«
    »Und worin soll dieses Interesse bestehen?« fragt Matthews mit hochmütiger Miene, als wäre ich zu unwissend, um mich auf dieses
     Gebiet zu wagen.
    »Meines Wissens haben sich alle großen Epidemien bisher von Osten nach Westen ausgebreitet. Die Enzephalitis 16 bildet eine
     Ausnahme: Sie breitet sich von Westen nach Osten aus. Deshalb ist die Zahl der Fälle in Westeuropa geringer als bei uns; die
     UdSSR ist, soweit wir Kenntnis davon haben, weniger als Westeuropa in Mitleidenschaft gezogen; und Asien ist kaum berührt.
     Unsere Untersuchung hat ergeben, daß Japan und China bereits Maßnahmen ergreifen, um die Kontakte ihrer Bevölkerung mit den
     Einwohnern aus dem Westen einzuschränken.«
    Ich habe ins Schwarze getroffen. Matthews zieht interessiert seine dichten, schwarzen Brauen hoch und will gerade eine neue
     Frage stellen, als Cresby mit höflicher, hastiger und unglaublich schneidender Stimme sagt: »Herr Staatssekretär, wir sollten
     uns bei diesem Punkt nicht aufhalten. Ich habe mir die Mühe gemacht, den Bericht Dr. Martinellis zu lesen (kurzes, hinterhältiges
     Lächeln), und habe dem Präsidenten über die politischen Verwicklungen betreffs Asien bereits Bericht erstattet.«
    |9| Sowenig nett Matthews mir gegenüber auch sein mag, in diesem Augenblick bedaure ich ihn. Krasser könnte man ihm nicht zu verstehen
     geben, daß er ein Versager ist und daß alle Dinge von Wichtigkeit über seinen Kopf hinweg entschieden werden.
    Matthews’
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