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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer
Autoren: R Merle
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Gesundheitswesens
     berufen worden. Es wird nötig sein, daß ich dich nach und nach durch Sanftmut, Hartnäckigkeit, zärtliche Vorwürfe und alle
     weiblichen Überredungskünste dazu bringe, zum |367| ersten, mir nichts mehr zu verbergen, zum zweiten, nicht über meinen Kopf hinweg Entscheidungen zu fällen, die mich betreffen.
     Wir werden noch auf die Tasse Tee von gestern mit Anita zurückkommen. Nicht heute abend. Heute abend fühle ich mich überwältigt,
     weil du eben ein wahres Wort gefunden hast – die Wahrheit der Frau, die stärker als der Panzer der Kämpferin ist.
    »Burage«, sage ich halb im Scherz, halb im Ernst, »wenn wir das alles aufgeben würden? Einfach wegfahren?«
    »Wer, wir?«
    »Du, Dave und ich.«
    »Die Minifamilie«, sagt Burage, aber ohne ihren sonst üblichen aggressiven Sarkasmus.
    »Warum nicht?«
    »Ja«, sagt sie mit zärtlicher Ironie, »warum nicht? Aber wohin?«
    »Wohin du willst: nach Europa.«
    »Ach, Europa!« sagt Burage. »Wo jetzt gerade die repressiven Gesetze erlassen wurden!«
    »Afrika?«
    »Um in eine Kultur zurückzufallen, die die Frauen verachtet!«
    Ich breche das Spiel an diesem Punkt ab. Aber es ist ein Spiel, bei dem ich ihr geheimes Einverständnis spüre.
    »Warum nur wir drei?« fährt sie fort und wirft den Ball nicht ohne Selbstgefälligkeit zurück. »Warum nicht auch Jackie? Arme
     Jackie.«
    Ich würdige dieses Mitgefühl schweigend. Aber da Burage mich in Erwartung einer Antwort ansieht, sage ich: »Ich mag Jackie
     sehr. Aber sie ist, wie soll ich es ausdrücken, eine Art Anhängsel. Mir kommt es so vor, als ob sie dazu da ist, unserem Leben
     einen respektablen Anstrich zu verleihen.«
    Burage lacht schallend.
    »Ach, Ralph, wie komisch du bist! Einen respektablen Anstrich! Aber im Grunde stimmt das genau!«
    Sie bremst sich gerade noch rechtzeitig. Sie wird nicht weitergehen. Selbst im Zwiegespräch mit mir, selbst ohne Abhöranlage
     wird sie die Weltanschauung des
Wir
, das
Gesetzbuch der Frau
und die Mystik der
Reconstruction
nicht kritisieren. Sei gegrüßt, Präsidentin Hope, die das Land wiederaufbauen werden, huldigen dir.
    |368| Sie ergreift meine Hand und stößt einen leisen Seufzer aus.
    »Ralph, du darfst nicht mehr allein auf die Straße. Du wirst dich entschließen müssen, Jackie um diese Leibwache zu bitten.«
    Ein Händedruck, den ich erwidere. Ein zweiter Seufzer. Keine Fluchtträume mehr für die Flüchtlinge von Blueville. Das ist
     die traurige Wahrheit: wohin man auch geht, der Stacheldraht bleibt. Burage wird weiter für das HEW arbeiten und sich politisch
     engagieren. Und ich, ehemals Nutznießer einer frauenfeindlichen Kultur, ich werde die in Blueville so erfolgreich begonnene
     Lehre auf einem Posten fortsetzen, der geringfügig an Bedeutung verloren hat. Und obendrein tagtäglich – manchmal besser,
     manchmal schlechter – meinen neuen Status als sexuelles Objekt ertragen. Ohne, wie ich hoffe, meinen Hang zur Eigenliebe zu
     sehr zu entwickeln. Und wenn möglich, ohne paranoide Verfolgungskomplexe.
    Wäre ich Christ, würde ich sagen, daß ich Buße tue. Denn offen gestanden, wird mir von Tag zu Tag, da die Rollen vertauscht
     sind, immer klarer: Anlaß zur Buße gibt es genug.
    Ich sehe Burage an und drücke erneut ihre kräftigen Finger. Nein, ich werde nicht fortgehen. Ich habe viel verloren. Aber
     trotzdem gibt es etwas, was mir bleibt und was man mir nicht nehmen kann: dich, Burage.
    Und das heimliche Paar, das wir bilden – inmitten der offiziellen ungeteilten Gemeinschaft.

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Informationen zum Buch
    Eine verheerende Epidemie rafft in den USA die männliche Bevölkerung im zeugungsfähigen Alter dahin. In panischer Angst vor
     dem Virus lassen viele Männer sich kastrieren. Eine kontrasexuelle Gesellschaft etabliert sich gegen die alte, phallokratische,
     und fanatisierte Frauenrechtlerinnen reißen die politische wie die ökonomische Macht an sich. Fernab dieser aus den Fugen
     geratenen Welt, in den Wäldern des Vermont, wird eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern als "protected men" in strenger Isolation
     gehalten, unter ihnen der Neurologe Ralph Martinelli mit seinem elfjährigen Sohn. Im Auftrag der Konzernherrin Hilda Helsingforth
     arbeitet er an der Erforschung eines Serums gegen die tödliche Enzephalitis - rechtlos, als "Phallokrat" verachtet, von Milizionärinnen,
     Laborantinnen, Kastraten bespitzelt und mit Abhörgeräten rund um die Uhr überwacht. Bis er eines Tages erfährt, daß
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