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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer
Autoren: R Merle
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bringe ich nicht zustande. Wie alle bedeutenden Persönlichkeiten hat Anita
     es sich angewöhnt, Monologe zu führen. Im übrigen macht sie mir wegen meines Schweigens Komplimente. »Du hörst so gut zu,
     und du hast so schöne Augen, wenn du mir zuhörst.«
    |361| Von dem Institut, das noch gar nicht zu sehen ist, das sie mir aber schon als fertig beschreibt, geht Anita zu einem konkreteren
     Projekt über, das ihr ebenso am Herzen liegt und ebenfalls meine Mitwirkung voraussetzt: sie will ein Kind von mir.
    Ich falle aus allen Wolken.
    »Du? Ein Kind?«
    »Wieso? Traust du mir das nicht zu?«
    »Oh, doch! Aber es widerspricht so völlig deiner Lebensanschauung!«
    »Meine Anschauung hat sich geändert«, sagt Anita ernst. »Die Zeit auch. Und parallel dazu die soziale Organisation. Babys
     sind mit einer politischen Karriere nicht mehr unvereinbar. Im Gegenteil.«
    Ich genieße nebenbei dieses »im Gegenteil«, so wie es sich gebührt.
    »Man darf nicht vergessen«, sagt Anita im Stil der letzten Rede von Elizabeth Hope (vielleicht hat sie die Rede überhaupt
     selbst geschrieben), »daß der demographische Wiederaufbau den absoluten Vorrang in unserer Zeit hat. In den folgenden Monaten
     wird keine Amerikanerin, so hochgestellt sie auch sein mag, sich erhobenen Hauptes zeigen können, wenn sie nicht Mutter ist.
     Die Präsidentin kann leider (sie senkt die Stimme) in Anbetracht ihres Alters … Aber wir, ihre Beraterinnen, wir müssen das
     Beispiel geben. Hier, Ralph, siehst du etwas, das erst in einer Woche spruchreif sein wird.« Ohne den Gegenstand ganz aus
     ihrer Tasche zu holen, zeigt sie ihn mir auf der flachen Hand: ein dunkelrotes Abzeichen, von dem sich die Goldbuchstaben
     MAR abheben.
    »Was bedeutet MAR?«
    » The Mothers of the American Reconstruction.
Nur diejenigen Amerikanerinnen werden das Recht haben, dieses Abzeichen zu tragen, die im ersten Jahr der
Reconstruction
schwanger werden«, sagt sie mit begehrlichem Ausdruck in ihren grünen Augen, während sie die Plakette mit Bedauern wieder
     in ihrer Tasche verschwinden läßt.
    Ich nehme mir vor, Burage und Jackie davon zu erzählen. Das wird ihnen Freude machen, vor allem Jackie, die als Militär sicher
     eine Schwäche für Abzeichen hat.
    »Aber warum ich?« frage ich. »Schließlich gibt es doch noch andere Männer.«
    |362| Sie lacht. »Aber wenn wir doch verheiratet sind, Ralph! Vor dem Gesetz! Und soviel ich weiß, hast du nicht die Absicht, dich
     scheiden zu lassen?« (Woher weiß sie es?)
    Sie lacht erneut.
    »Ich bitte dich, mach nicht so ein Gesicht! Ich habe nicht die Absicht, dir dein Leben durcheinanderzubringen. Du lebst mit
     zwei charmanten Frauen zusammen, das ist sehr gut so. Wie du weißt, habe ich immer allein gelebt. Ralph, ich bitte dich um
     nichts anderes als um deine Freundschaft und ein Kind. Deinen Namen habe ich schon.«
    Ein diskreter Hinweis, und deutlich genug! Die patriotische Pflicht, selbstverständlich! Elizabeth Hope, immer bereit! Pioniere
     der Fruchtbarkeit! Die allerersten Mütter des Wiederaufbaus! Und vergessen wir auch nicht: ein Kind, das meinen Namen trägt.
     So findet sie Anschluß – mit Jackie, mit Burage, mit Barrow – an eine historische Episode des Widerstandes gegen Bedford,
     ausgerechnet sie, die am Anfang so wenig Widerstand leistete … Bewundernd (aber auch etwas schaudernd) betrachte ich den verschlagenen
     Politiker, der sich hinter diesen schönen grünen Augen und dieser hübschen Nase verbirgt.
    Anita ergreift meine Hand und drückt sie kräftig.
    »Du bist doch einverstanden, nicht wahr, Ralph?«
    Wie könnte ich, liebkost, mit einem Ring beschenkt und Institutsdirektor
in spe
, ablehnen? Aber trotzdem. Ich spüre in mir eine fest verankerte, wenn auch etwas doppelgesichtige eheliche Redlichkeit.
    »Was mich betrifft, ja, Anita, sehr gern (das zu sagen kostet mich eine gewisse Anstrengung). Aber ich muß mit meinen Gefährtinnen
     sprechen.«
    Sie lacht.
    »Die Mühe kannst du dir sparen, Ralph. Es ist schon geschehen.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich habe gestern mit ihnen Tee getrunken.«
    Und sie haben mir nichts gesagt! Ich könnte losbrüllen! Und ich täte es, glaube ich, wenn Mrs. Twang nicht gerade mit der
     Rechnung käme. Ich schlage sofort die Augen nieder und halte sie so lange gesenkt, bis Anita bezahlt und die kleine Menschenfresserin
     im geschlitzten Kleid den Raum verlassen hat. Ich bemerke, daß Anita ungeniert die Rechnung überprüft hat, |363| bevor
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