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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers
Autoren: Wingfield Jenny
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Geschäft, und ich hab mein Geschäft, und keiner steckt beim anderen die Nase rein. Du machst morgens auf und schließt am Abend, und ich mache abends auf und schließe am Morgen. Dann brauchst du dich auch nicht mehr mit mir im Bett herumzuwälzen, weil wir nämlich nie mehr zur gleichen Zeit in ihm liegen werden.«
    »Ich hab doch gar nicht gesagt, dass ich mich nicht mit dir herumwälzen will.«
    »Den Teufel hast du«, sagte John.
    Er nahm das Schild, auf dem die Farbe noch feucht war, kletterte die Trittleiter hinauf und nagelte es an die Wand über die Hintertür. Die Farbe war zwar leicht verschmiert, doch die Schrift war noch lesbar. »Never Closes«. Kein Ruhetag.
    »Never Closes« schenkte an sieben Abenden die Woche Bier, Wein und Schnaps aus – und das die ganze Nacht. Da es im Columbia County verboten war, Alkohol zu verkaufen, verkaufte John ihn also auch nicht, sondern servierte seinen Freunden lediglich ein paar Drinks. Er betrachtete die Getränke eher als eine Art Geschenk an sie. Und bevor sie gingen, gaben die Freunde John dann ebenfalls eine Art Geschenk. Fünf Dollar oder zehn oder wie hoch auch immer das Geschenk laut seinem zerfledderten kleinen Notizbuch sein sollte.
    Der Sheriff des Countys und mehrere Hilfssheriffs machten es sich zur Gewohnheit, am Ende ihrer Schicht vorbeizukommen, und ihnen verkaufte John tatsächlich nichts, sondern schenkte ihnen alles ein, was sie wollten. Ihre Drinks gingen aufs Haus. So viel kostenlosen Schnaps hatten die Burschen noch nie gesehen, und deshalb war es verständlich, dass sie viele andere Dinge auch nicht sahen. Unter gewissen Umständen übersahen sie häufig etwas, und diese Angelegenheit hier schien so, wie sie war, ganz in Ordnung zu sein.
    Schon bald hatte John seine eigenen Stammkunden, die vorbeikamen, um Domino oder Pool zu spielen. Sie redeten über Religion und Politik, erzählten sich schmutzige Geschichten, spuckten Tabaksaft in die Kaffeedosen, die John aufgestellt hatte, und rauchten, bis die Luft so dick war, dass man sie in Scheiben hätte schneiden können.
    Doch Johns Stolz auf sein neues Unternehmen hatte einen bitteren Beigeschmack. Er hätte die ganze Sache sofort aufgegeben, die Mauer eingerissen, sein Schild verbrannt und seine Stammkunden zum Teufel geschickt, hätte sich Calla bei ihm entschuldigt. Doch auch sie hatte ihren Stolz. Zwischen ihnen steckte ein Keil, und Calla sah nicht ein, dass sie ihn hineingetrieben hatte.
    Irgendwann begann auch Calla damit, ihren Laden sieben Tage die Woche zu öffnen. Manchmal spazierten ihre letzten Kunden aus der vorderen Tür hinaus und gingen um das Haus herum zur Hintertür wieder rein, um das Geld zu vertrinken, das ihnen von ihrem Lebensmitteleinkauf im vorderen Hausbereich noch geblieben war. Manchmal war es aber auch umgekehrt. Dann torkelten Johns Gäste im Morgengrauen aus der Hintertür, stolperten auf dem ausgetretenen Pfad nach vorn, tranken Callas Kaffee, um nüchtern zu werden, und kauften von ihrem letzten Geld Lebensmittel für ihre Familie.
    Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnte man bei den Moses bekommen, was man brauchte, sofern man einfache Bedürfnisse hatte. Auch brauchte man nie zu gehen, bevor man sich nicht selbst für den Aufbruch entschied, denn weder Calla noch John brachte es übers Herz, jemanden fortzuschicken – auch wenn dieser Jemand kein Geld mehr hatte. Nate Ramsey war einmal fast eine ganze Woche bei ihnen geblieben, nachdem seine Frau Shirley zu Hause angefangen hatte, mit Gegenständen um sich zu werfen.
    So ging es immer weiter bis zu dem Tag, an dem John Moses starb. Doch Moses’ »Never Closes« war zu etwas geworden, worauf sich die Leute verließen. Ein sicherer Ort in einer unsicheren Welt. Und die Leute wollten, dass das auch so blieb, denn wenn man einmal begann, an einer Sache etwas zu verändern, so veränderte sich nach und nach auch alles darum herum, bis man bald schon nicht mehr wusste, woran man war.

2
    Und so passierte es.
    Samuel brachte Willadee und die Kinder am Samstag vorbei, und Willadee half ihrer Mutter den restlichen Tag beim Kochen und Putzen. Da die Kinder eh keine Hilfe sein würden, wurden sie aus dem Haus verbannt und mussten zur Strafe Dinge tun wie auf dem Heuboden herumtollen, im Bach nach Flusskrebsen fischen und auf den gesamten vierzig Hektar Land Kriegsspione spielen.
    Noble war zwölf und bestand praktisch nur aus Armen, Beinen und Sommersprossen. Er hatte die Augen von seinem Vater geerbt, allerdings fielen
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