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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers
Autoren: Wingfield Jenny
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so.
    Das Haus der Moses war groß und zweistöckig. Es war solide gebaut, neigte sich aber mittlerweile auch ein wenig zur Seite, als ob nicht mehr genug Seelen darin wohnten, um es aufrecht zu halten. John und Calla hatten die Landwirtschaft vor einigen Jahren eingestellt. Calla hatte zwar noch immer einen Garten und ein paar Hühner, aber die Felder hatten sie verwildern lassen, die Veranda vor dem Haus hatten sie zugemauert und daraus schließlich einen Lebensmittelladen mit Tankstelle gemacht. Calla wollte, dass John ihr ein Schild dafür malte, konnte sich aber nicht entscheiden, ob »Moses’ Lebensmittel und Tankstelle« oder »Moses’ Benzin und Lebensmittel« draufstehen sollte. Und während sie mit sich um einen Entschluss rang, riss John der Geduldsfaden, sodass er einfach ein Schild über die Eingangstür nagelte. Darauf stand schlicht und einfach »Moses«.
    Jeden Morgen stand Calla auf, ging in den Laden hinunter und kochte eine Kanne Kaffee. Die Farmer kamen auf dem Weg zur Viehversteigerung oder zum Futterholen vorbei, wärmten sich den Hintern am Holzofen und tranken eine Tasse.
    Calla konnte gut mit Kunden umgehen. Sie war eine gemütliche mollige Frau mit tatkräftigen Händen, und die Leute hatten gern mit ihr zu tun. Im Grunde genommen hatte sie John gar nicht nötig, jedenfalls nicht im Laden. Häufig war er ihr sogar schlichtweg im Weg.
    John seinerseits hatte ein Faible fürs Trinken. Dreißig Jahre lang hatte er jeden Morgen seinen Kaffee mit Whiskey angereichert, bevor er in den Kuhstall gegangen war. Das sollte ihn im Winter gegen die Kälte wappnen und im Sommer für den Tag stärken. Nun aber ging er nicht mehr im Morgengrauen melken, und trotzdem trank er immer noch Kaffee mit Whiskey. Dabei saß er in Callas Laden und plauderte mit den Stammkunden, und wenn diese sich auf den Weg zur Arbeit machten, war John meist schon ziemlich angeheitert. Calla war davon überhaupt nicht begeistert. Sie war daran gewöhnt, dass ihr Mann beschäftigt war, und irgendwann erklärte sie ihm, er brauche ein Hobby .
    »Ich hab ein Hobby, Frau«, antwortete er ihr. Calla stand gerade vornübergebeugt und schürte das Feuer im Holzofen, sodass sie eine unwiderstehliche Versuchung darstellte. John taumelte von hinten auf sie zu und schlang seine Arme um ihre Taille. Calla war so überrascht, dass sie sich die Hand am Schürhaken verbrannte. Schnell schüttelte sie ihren Mann ab und saugte an ihrer Hand.
    »Ich meine ein Hobby, bei dem du mir nicht im Weg bist«, blaffte sie ihn an.
    »Aber ich bin dir doch früher auch nie im Weg gewesen.«
    Er war gekränkt. Sie hatte ihn nicht kränken wollen, aber Wunden heilen ja wieder. Die meisten jedenfalls.
    »Früher hatte ich nie Zeit. Da ist es mir nicht aufgefallen, ob du mir im Weg warst oder nicht. Gibt es denn gar nichts mehr, was du gern tust, außer dich mit mir im Bett herumzuwälzen?« Nicht dass Calla etwas dagegen gehabt hätte, sich mit ihrem Mann im Bett herumzuwälzen. Heutzutage machte es ihr vielleicht sogar mehr Spaß als je zuvor in den vielen Jahren, die sie nun schon zusammen waren. Trotzdem konnte man damit nicht den ganzen Tag verbringen, nur weil der Mann sich nicht anderweitig beschäftigen konnte. Schon gar nicht, wenn alle fünf Minuten Kunden hereinkamen.
    John ging zur Theke, an der er seinen Kaffee getrunken hatte, schenkte sich noch eine Tasse ein und gab einen reichlichen Schuss Whiskey hinzu.
    »Doch, das gibt es«, erklärte er trotzig. »Natürlich gibt’s noch etwas, das ich verdammt gern tue. Und genau dem werde ich mich jetzt widmen.«
    Er wollte sich betrinken. Und nicht nur, bis er angeheitert, sondern bis er sturzbetrunken war. So betrunken, dass er nicht mehr fähig sein würde zu denken und vernünftig zu reden. Er griff sich seinen Kaffee, seine Flasche und noch zwei weitere, die er hinter der Theke versteckt hatte, sowie eine Packung Doughnuts und zwei Dosen Prince-Albert-Tabak, ging in die Scheune und blieb dort drei Tage. Nachdem John lange genug so richtig betrunken gewesen war und es sinnlos gewesen wäre, sich noch weiter zu betrinken, ging er ins Haus zurück, nahm ein heißes Bad und rasierte sich. An diesem Tag baute er eine Mauer um die Veranda hinter dem Haus und begann ein weiteres Schild zu malen.
    »Was machst du da?«, fragte Calla mit in die Hüften gestützten Händen. Sie sah aus wie eine Frau, die auf eine Antwort besteht.
    »Ich lege mir ein Hobby zu«, sagte John Moses. »Von jetzt an hast du dein
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