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Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Titel: Die Geschichte einer Kontra-Oktove
Autoren: Boris Pasternak
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sinkenden Sonnenfeuer, bog sich wie gepunzte Bronze, die Härchen des Stachelbeerbuschs keuchten im rosigen Dunst. Bengalisches Glimmen breitete sich auf allen Vieren über die Wiese aus, und bei der Drehorgel angelangt, gab es ihr seine Seele. Nachdem es mit schimmerndem Glanz die nackten, staubigen Füße der Zigeunerinnen geküßt hatte, drehte es im Rhythmus des Kamelschaukelns den Drehorgelgriff.
    In der Menge stand auch der alte Erzieher. Bedeutsame Bemerkungen wurden in der Menge über die Affen gemacht. Da ließen die Tiere, ohne ihre Haltung zu verändern, eine Wolke von Affenblikken auf die Menge los. Ihre zusammengekniffenen Augen glänzten in schwarzem Glanz, sprangen die Gesichter an wie Flöhe, und nachdem sie genug davon hatten, sprangen sie mit einem Satz zurück auf ihre Plätze in die tiefen Augenhöhlen. Der Sonnenuntergang verdichtete sich und wurde schon fahl. Einzelne Schichten der Abendsonne fielen nach und nach wie glänzendes Metall in die Furchen der gehackten Johannisbeerbeete. Besondere Neugier erregte der Käfig, auf dessen Dach die Affen in einem Haufen eng zusammengedrückt kauerten. Der Käfig war leer. Es war nichts darin außer einem Klumpen zerdrückten Strohs und jene unbestimmten, scharf riechenden Dunkelheiten, die man im Winter auch in geschlossenen Räumen der zoologischen Gärten antrif und die in den hintersten Winkeln halbdunkler Käfige nisten. Dieser leere Käfig erregte die Aufmerksamkeit eines jeden so lange, bis er bemerkte, daß in der rechten Ecke der Rückwand doch etwas lag. Ein prächtiger Frauenmuff, groß, schwarz oder dunkelgrau, zur Hälfte im Stroh vergraben. Und dann wurde seine Neugier … »Knauer!« klang es vom Gasthof herüber.
    Der Erzieher wandte sich um, als bezöge sich dieser Anruf auf ihn.
    »Knauer!« rief es wieder von der hölzernen Galerie herüber, die sich an der Hofseite am ersten Stockwerk des Gasthofs entlangzog. Der Erzieher verließ die Menge und begab sich zu der am Geländer der Galerie stehenden Gruppe. Er schaute hinauf und erkannte sie. Er erkannte Tuch, Sturzwage, Rosarius und all die anderen außer zwei oder drei ihm fremden Männern. Er war erregt und hatte bestimmt seinen Hut abgenommen und zur Galerie hinaufgeschwenkt – den vom Sonnenuntergang beleuchteten Männern entgegen –, um schon von der Wiese her die Freudengefühle auszudrücken, die seine Kehle zuschnürten, aber er hatte keinen Hut auf; als er vorhin hinausgegangen war, um sich die Tiere anzuschauen, hatte er ihn im Gasthof vergessen.

    Worüber dann oben im Gasthof gesprochen wurde, ist nicht bekannt. Das Gespräch währte nur kurz. Bald erschien Tuch schon wieder auf der Galerie, den ihm folgenden Amtsbrüdern im Gespräch halb zugewandt. Sie überquerten den Hof, verabschiedeten sich auf der Straße und gingen nach Hause.
    Das Ziel ihres Besuches im Gasthof war es gewesen, Knauer eine – wie sie es nannten – Information zukommen zu lassen. Sie waren gekommen, um Knauer davon in Kenntnis zu setzen, daß sein Gesuch um Wiedereinstellung als Stadtorganist nicht nur kategorisch abgelehnt sei, sondern daß sie, der Rat der Stadt, in diesem Gesuch ein in seiner Dreistigkeit ungeheuerliches Beispiel von hochmütigem Aberwitz sähen. Und das nicht nur in Anbetracht dessen, daß die Stelle des Stadtorganisten überhaupt nicht vakant sei, wie er offenbar in seiner maßlosen Selbstüberschätzung geglaubt habe, sondern mehr noch – und ganz speziell –, weil seine Anwesenheit in dieser Stadt absolut unzulässig sei und auf keinen Fall geduldet werden könne, und das aus Gründen, die ihm besser als anderen bekannt seien, Gründen überdies, die sich heute an Zahl und Gewicht verzehnfacht hätten, da er, ohne jemanden zu fragen, nicht einmal die Stimme seines eigenen Gewissens – und darauf bestanden sie –, sich erfrecht habe, willkürlich sich der Kirche zu bemächtigen, als verfüge er über sein Eigentum, die – und darauf bestanden sie auch –, die für ihn ein unberührbares Heiligtum hätte sein müssen, ein schreckliches Heiligtum.
    Ihr Ziel war es gewesen, Knauer zu informieren, und obwohl nicht bekannt geworden ist, was gesprochen wurde, muß man doch annehmen, daß sie Erfolg hatten und ihr Ziel erreichten. Als die Ratsherren Knauer verließen, lag auf ihren Gesichtern nicht mehr der Ausdruck von Verlegenheit, mit dem sie gekommen waren. Der Stil des Edikts, das Tuch verlesen hatte, beherrschte noch alle ihre Bewegungen, als sie über den
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