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Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Titel: Die Geschichte einer Kontra-Oktove
Autoren: Boris Pasternak
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wiederzukehren. Die Seitentür der Kirche, die die Nacht über offengeblieben war, versteht er als Zeichen der göttlichen Verzeihung und der erneuten Berufung. Ein Versuch auf der Orgel überzeugt ihn, daß er sie wie eh und je beherrscht. Doch die Antwort auf seinen Antrag, die Organistenstelle wieder einnehmen zu dürfen, ist ein entsetztes Nein des Stadtrates, das ihm in ausführlicher Begründung verlesen wird. Knauer hört diesen Beschluß wortlos an und verläßt die Stadt wieder, diesmal auf immer. Unbegreiflich ist ihm einzig die Tatsache, daß die Stelle des Organisten ein Mann einnimmt, der das absolute Gegenteil von ihm selbst darstellt.
    Die Geschichte wird zur Legende vom genialen Künstler, dem die Himmel grollten, dann verziehen und von neuem in ihren Dienst beriefen. Philisterhafigkeit verwandelt die Legende in eine Moritat von bestrafem Hochmut, von Selbstüberschätzung, die zu Frevel führte.
    Später berührte Pasternak verschiedentlich sein Verhältnis zur Romantik, präzisierte seine eigene Definition dieser Kunstströmung und ihrer ideologischen Unterströme und äußerte sich über die Gründe seiner Abkehr von der Romantik. Im . Abschnitt des dritten Teils des Geleitbriefes 4 , in dem Pasternak seine Beziehungen zur Romantik darlegt, schreibt er:
    »Außerhalb der Legende ist das romantische Konzept falsch. Der Dichter, der diesem Konzept zugrundeliegt, ist undenkbar ohne die Nicht-Dichter, die ihn konturieren, denn dieser Dichter ist keine lebendige, von sittlichen Erkenntnissen durchdrungene Person, sondern sichtbar-biographisches Emblem, das einen Hintergrund zu seiner Konturierung braucht. Im Unterschied zu Passionsspielen, die den Himmel benötigen, um vernommen zu werden, benötigt dieses Drama das Übel der Mittelmäßigkeit, um gesehen zu werden, so braucht die Romantik stets das Philistertum; verschwindet das Spießbürgertum, verliert sie die Hälfe ihres Inhalts.«
    Diese Passage kann nicht nur als eine allgemeintheoretische Stellungnahme gelten, sondern auch als konkrete Parole des Autors für Die Geschichte einer Kontra-Oktave.
    Unter Romantik verstand Pasternak »nicht die einst dagewesene Strömung, nicht die tatsächliche Schule, nicht den Grad der Kunstentwicklung, sondern die Romantik als Prinzip: das Abgeleitete, das Nichtursprüngliche, Literatur über Literatur; wogegen das schöpferische Kunstgenie ein Kunstverachter und Lebensanbeter durch Kunst ist.« 5 Seine Absage an die romantische Manier und ihre Wurzeln, die romantische Ideologie, begründet Pasternak im Geleitbrief:

    »Aber unter der romantischen Manier, die ich mir von nun an versagte, barg sich eine ganze Weltauffassung. Es war die Auffassung vom Leben als dem Leben des Dichters. Wir hatten sie von den Symbolisten übernommen, die sie von den Romantikern, hauptsächlich von den Deutschen, geerbt hatten.« Und weiter: »Eine Biographie als Schauspiel aufzufassen, war unserer Zeit eigen. Ich teilte diese Konzeption mit allen anderen. Ich trennte mich von ihr noch in jenem vagen, unverbindlichen Stadium, als sie noch nicht Heroismus voraussetzte, noch nicht nach Blut roch.«
    Es ist nicht schwer zu erraten, von welchen fürchterlichen Folgen der romantischen Ideologie hier die Rede ist.

    3.

    Betrachten wir schrittweise den Lösungsprozeß von der Romantik an den drei ersten erhalten gebliebenen Erzählungen Die Geschichte einer Kontra-Oktave (93), Die Linie des Apelles (95) 6 und Briefe aus Tula (98) 7 .
    In Die Linie des Apelles erwies sich schließlich der romantische Dichter Relinquimini, der Heinrich Heine literarisch herausforderte, als der Genarrte, denn Heine verlagerte die Herausforderung aus der Literatur in die Wirklichkeit. Auf den Haupthelden Heinrich Heine lassen sich die eben zitierten Worte anwenden: »ein schöpferisches Kunstgenie, ein Kunstverachter und Lebensanbeter durch Kunst«.
    Es ist klar, daß in diesem Streit zwischen Leben und Kunst, zwischen Realist und Romantiker der Sieg dem Realisten zufällt, obwohl der andere, Relinquimini, ein Lieblingsheld frühester ProsaFragmente Pasternaks ist und sogar als Autor nicht erhaltener früher Arbeiten fungiert 8 . Im Unterschied zur Geschichte einer Kontra-Oktave denkt Pasternak sich hier keine neue Person aus. Er nimmt Heinrich Heine so, wie dieser sich selbst in den »Reisebilder III. Italien.« schildert. Als Motiv verwendet der Autor die Fabel von der Herausforderung des griechischen Malers Apelles durch seinen
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