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Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Titel: Die Geschichte einer Kontra-Oktove
Autoren: Boris Pasternak
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Hälfe dieser Zeitspanne begannen wir eine Werkausgabe vorzubereiten. Wäre die Edition allein von unseren Bemühungen abhängig gewesen, hätte sie schon vor sechs Jahren erscheinen können. Aber Gründe, auf die wir keinen Einfluß haben, machen eine Werkausgabe heute genauso unmöglich wie zu Lebzeiten des Autors.
    In einer derartigen Situation ist es schwer, nicht die Möglichkeiten zu nutzen, hie und da in unseren Zeitschrifen die eine oder andere vergessene oder bisher unveröffentlichte Arbeit Pasternaks zu publizieren, ungeachtet der Demütigungen durch nicht eingehaltene Versprechungen, obligate redaktionelle Bearbeitungen, ungeachtet auch der unvermeidlichen Kürzungen, die solchen Veröffentlichungen nicht nur ihren Wert, sondern auch ihren Sinn zu nehmen drohen.
    Zu unserer freudigen Überraschung stellte sich jedoch noch jedes Mal heraus, daß ein PasternakText derartigen Prüfungen standhielt, und diese Veröffentlichungen sich als Erfolg erwiesen. Das frappierendste Beispiel dieser Art lieferte das ohne unsere Mitwirkung zustandegekommene Buch Briefe nach Georgien  . Ähnlich erging es der Geschichte einer Kontra-Oktave. Schon 963 hatte Jelena Pasternak die einzelnen Bogen der Handschrif dem Plan und den Notizen des Autors entsprechend geordnet. Der rekonstruierte Text wurde einigen Personen zugängig gemacht, die sich für Pasternak-Forschung interessieren. Doch erst zehn Jahre später konnte die unvollendete Erzählung in den Mitteilungen der sowjetischen Akademie der Wissenschafen erscheinen. Leider handelte es sich dabei von Anfang an nicht um eine wissenschafliche Edition. Mehr noch: der vorgesehene Umfang wurde im Laufe der Zeit und nach gewissen Redaktionsbesprechungen um mehr als die Hälfe reduziert, und der zweite, unfertige Teil der Erzählung konnte nur in zusammenfassender Inhaltsangabe unter Zitierung einiger Originalpassagen gedruckt werden.

    2.

    Trotzdem ist Die Geschichte einer Kontra-Oktave interessant, denn schon hier, in dieser ersten kompositionell voll ausgearbeiteten Prosa tritt eine Grundtendenz Pasternaks deutlich zu Tage: das Bestreben, im Wort das Bild der Welt so zu vermitteln, wie er sie erkannt und als geistig verwandt erlebt hat. Technisch realisiert er diese Tendenz in dem Bemühen, Szenen und Situationen in unteilbare inhaltliche Einheiten zu fassen, sie nicht in getrennte Sätze zu untergliedern, sondern, in einem Atemzug gesprochen, das Bild als Ganzes aufzubauen. Daher ist beim Lesen durch die Anspannung der Augen physisch das Heraustreten aus der kühlen, dunklen Kirche auf den sonnigen Platz fühlbar, und die frühmorgendliche Szene am Bett des toten Knaben erschreckt. Daher wecken die Dialoge im zweiten Teil den Eindruck des Erlauschten, der Rhythmus der Schritte und des Stehenbleibens der Sprechenden teilt sich dem Leser mit.
    Für Pasternak war es zeitlebens charakteristisch, daß er parallel, fast gleichzeitig an Versen und Prosa arbeitete. Sujets, die größtmögliche Bestimmtheit im plastischen Ausdruck und in der Ausarbeitung verlangten, ergaben sich der Prosa; der lyrische Anfang, das Augenblickshafe, eine Bewegung nachzeichnende Malerische – den Gedichten. Die Geschichte einer Kontra-Oktave wurde offenbar im Sommer 93 geschrieben zur gleichen Zeit wie der Gedichtband Der Zwilling in den Wolken. 3 Biographisch sind beide Arbeiten bedeutsam als Entwicklungsstufen, die bald überwunden werden. In vieler Hinsicht noch Anfängerarbeiten, zeigen sie den Einfluß des russischen Symolismus und der deutschen Romantik (vor allem E. T. A. Hoffmann), in deren Bann sich diese Generation insgesamt befand. Die Erzählung ist wahrscheinlich das einzige erhaltene Beispiel der Versuche Pasternaks in der romantischen Manier. Er gab sie bald auf und distanzierte sich auf das Entschiedenste von ihr. Der Künstler Knauer, der in sich selbst »das Maß des Lebens« sieht und bereit ist, dafür mit dem Leben zu bezahlen, wird einerseits als Objekt des göttlichen Willens betrachtet, andererseits als »Fall« für das Gericht seiner Mitbürger. Er war zum Mörder seines Sohnes geworden, als er völlig selbstvergessen auf der Orgel improvisierte und sieht darin die göttliche Verwerfung seiner Berufung und seines Lebensbildes. Er verläßt die Stadt, wechselt seinen Beruf und verschwindet in der Fremde. Viele Jahre später zwingt ihn ein deutliches Himmelszeichen – ein Blitzeinschlag – zum Aufenthalt in der Stadt, die er verlassen hatte, um nie mehr
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