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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Autoren: Maria Waser
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so grausam, als sie zu ihm wollte, um es ihm zu erzählen, das Große — und nun hatte man sie wohl da heraufgetragen in die Gästekammer.
    Rudolf beugte sich über sie: „Wie geht’s?“
    Sie lächelte: „Ich glaub ganz gut, nur der Kopf brennt ein wenig, und am Rücken, grad unterm Hals, da ist eine Stelle, nicht größer denn die Spitze eines Fingers, von dort her kommt mir etwan ein Stich, aber nicht heftig, nur so wie ein heiß ziehend Brennen, und dann die Füß und die Händ, grad als ob sie mir abgefallen wären.“
    Rudolf streichelte ihre Wangen: „Die sind dir wohl ein weniges entschlafen ob dem Sturz; mußt dich nur nicht bewegen, ganz still liegen, gelt?“
    Aber die Pfarrerin brach in Tränen aus: „Hab ich’s nicht immer gesagt! Mit denen Liebhabereien, den unnützen, und daß es noch einmal ein Unglück geb mit der gefährlichen Treppe! Grad so gut hätt’s eins unsrer Kinder treffen können!“ Und sie schluchzte hörbar.
    Anna wandte sich an den Bruder: „Weißt, warum ich gekommen bin? Etwas zu berichten, etwas ganz Merkwürdigs!“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Weißt, nun wird es doch noch kommen, die Weite, und am End werd ich doch noch eine rechte Künstlerin und mein Leben ganz. Die Marquise — Ende Monats geh ich nach Paris!“ Sie sah Rudolf erwartungsvoll an mit leuchtenden Augen. Der aber kehrte sich dem Fenster zu. „Freust dich denn nicht?“ fragte sie enttäuscht.
    „Wohl, wohl,“ gab er matt zurück. „Aber nicht reden sollst jetzt, ganz still sein, hörst, bis der Wundarzt kommt. Ich hab Kuoni nach ihm geschickt mit dem Wagen.“
    Anna gehorsamte. Sie schloß die Augen und ging mit einem feinen Lächeln den Bildern nach, die die Gedanken an den glückhaften Brief heraufgeführt hatten; die Schmerzen waren fast gering geworden, und sie fühlte sich ganz leicht. Dann versuchte sie wieder zu sprechen: „Weißt, und Giulios Bild ist nun auch vollendet, hab mich lang nicht getraut, dieweil er es untersagt; aber zuletzt hab’ ich begriffen: Selber muß man sich freimachen und am Schicksal schmieden. Und so wird nun alles vollendet werden, ganz und rund.“
    Aber da sie sah, wie der Bruder ohne Antwort blieb, schwieg sie wieder.
    Später kam der Wundarzt. Sie kannte den stattlichen alten Herrn von lange her. Schon den armen Johannes hatte er gepflegt und Lisabeth und den Vater. Als er eintrat, fuhr er sie gutmütig an: „Was macht Ihr da für Geschichten, Waserin! Für derlei Sprüng seid Ihr doch zu klug, sollt man meinen, und zu alt!“ und er setzte sich freundlich lächelnd an ihr Bett.
    Er betastete die Stirne: „Der Verband sitzt gut, den lassen wir einstweilen, da hab ich nimmer nichts zu ändern,“ sagte er befriedigt. Aber da er weiter untersuchte und zu jener Stelle kam unterhalb des Halses, war es plötzlich, als ob man ihm mit einer kalten Hand übers Gesicht gefahren wäre, daß er grau wurde und entstellt.
    „Gebt mir eine Nadel,“ wandte er sich an die Pfarrerin, und Anna sah mit Staunen, wie er das scharfe Ding auf ihren Arm richtete und hineinstach, erst behutsam, dann rascher, roher, tief, tief hinein und es zurückzog — Herrgott, sie sah es und spürte doch nichts, rein nichts, und auf einmal gingen ihre Augen auf, ganz weit und schreckhaft, und ihr war, als ob man ihr mit der großen Feldschlange vom Bollwerk droben mitten übers Herz führe, mitten übers Herz, daß es ihr einen langen wimmernden Schrei auspreßte.
    Einen Augenblick war es ganz still; dann fragte sie mit leiser Stimme, schier flüsternd: „Ist es das Rückgrat?“
    Der Arzt streichelte ihr die toten Hände: „Ihr seid immer ein tapferes Frauenzimmer gewesen, liebe Waserin, solches die Wahrheit ertrug, so will ich Euch auch jetzo nicht anlügen — ja, das ist wohl um etwas verletzt von dem Fall.“
    Wiederum wurde es still, nur der Pfarrerin schlecht unterdrücktes Schluchzen ging kläglich durch den Raum.
    Anna schloß die Augen. Ein grausiges Bild kam herauf, wie sie einst eine Katze gesehn, unten am Blarerturm, die war ganz starr, nur der Kopf lebte noch, und die grünen Augen blinzelten qualvoll; aber einer trat herzu: „Die hat das Grat gebrochen!“ und nahm sie und warf sie in den Fluß.
    Sie grub die Zähne in die Lippen; denn wiederum kam das Stöhnen. Und dann war es plötzlich eine wahnsinnige Angst, daß sie aufspringen wollte und mit übermenschlicher Kraft die Bande sprengen, die sie grauenvoll fesselten; aber bloß der Kopf bewegte sich, und davon zuckte ein
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